Italien wollte ihm den Literaturnobelpreis 1959 nicht vergönnen: Eher als Salvatore Quasimodo hätten diesen Eugenio Montale oder Giuseppe Ungaretti verdient, lautete die Kritik.

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Eine Ausstellung in Wien würdigt nun den "ersten Schüler des Hermetismus".

Wien – Das Erdbeben von Messina 1908 war die verheerendste Naturkatastrophe Europas. Ganze Städte wurden zerstört, hunderttausende Familien verloren ihre Häuser und Angehörigen. Ein damals siebenjähriger Knabe sollte das harte Elend, das Sizilianer und Süditaliener infolge zu erleiden hatten, später literarisch verarbeiten. Salvatore Quasimodo übersiedelte nach der Katastrophe aus einem Dorf im Süden in die Nähe von Messina. Sein Vater sollte dort die zerstörte Eisenbahnstation wiederaufbauen, und die Familie fand, wie so viele Überlebende, ihre erste Unterkunft in einem alten Zugwaggon.

Dem Mythos Sizilien, dem Ort seiner Kindheit, ist das Schaffen des Dichters Quasimodo (1901-1968) über lange Zeit gewidmet: Sizilien, ein verlorenes Eden, ein mythisches Land, in dem die Erinnerung an uralte Kulturen der brutalen Archaik und Einsamkeit gegenübersteht. Die Gedichte des ersten Bandes "Acqua e terre" sind von einer melancholischen Sehnsucht nach diesem Idyll geprägt.

Diese Arbeiten entstanden ab den 1920er-Jahren: Quasimodo studiert in Rom, wird Straßenbauingenieur, dichtet und lernt nebenbei im Selbststudium Latein und Griechisch. Er publiziert vereinzelt in sizilianischen Zeitschriften.

Der Durchbruch gelingt ihm erst um 1930 in Florenz, wo ihn sein jüngerer sizilianischer Schriftstellerkollege Elio Vittorini in das Milieu der legendären Literaturzeitschrift Solaria einführt. Hier begegnet er etablierten Dichtern wie Eugenio Montale, die seine Lyrik fördern und veröffentlichen – und prägen. Heute gilt Quasimodo neben Montale und Ungaretti als dritter Vertreter des italienischen Ermetismo, einer Lyrikstilrichtung, die sich durch Wortmystik und -muster, Metaphern sowie differenzierte Symbolik auszeichnet.

Empörung über Stockholm

Doch Quasimodo galt neben den Großmeistern immer mehr als erster Schüler des Hermetismus denn als dessen letzter Meister. Als ihm das schwedische Komitee 1959 den Literaturnobelpreis zusprach, war Italien daher empört. Dass Montale und Ungaretti ausgerechnet durch den jüngeren Kollegen ausgestochen wurden, empfand man als unerhört. In der Tat bleibt Quasimodo stilistisch hinter den Granden der italienischen Lyrik, die das Absolute im Wort zu fassen versuchten, zurück. Dabei trieb er formal die Konkretisierung der Sprache voran, deren dunkel symbolreiche Gestalt etwa von D'Annunzio beeinflusst war.

Doch die Nobelpreisjury mögen ohnedies auch andere Aspekte zu ihrer Entscheidung bewogen haben: Mit dem Nobelpreisträger aus dem Vorjahr Boris Pasternak hatte sich Quasimodo solidarisiert und klare politische Haltung gezeigt.

Denn nach 1945 hatte Quasimodos Lyrik Sizilien endgültig verlassen. Der Krieg, dieses zweite verheerende "Erdbeben", das der Dichter erlebte, hatte alles verändert. Vom Idyll Sizilien wandte er sich ab und der tragischen Welt zu, die er im Krieg kennengelernt hatte. "Das Wahre ist der Mensch", sagte Quasimodo nun. Der Dichter sei der Dolmetscher der Trauer und der Tränen, seine lyrische Aussage werde zum Zeitbericht. Quasimodo beschwor eine Blütezeit der sozialen Literatur. Der Ermetismo sah ohnedies die Dichtung als wesentlichste Form des Engagements. Über die Bedeutung des Krieges für die Literatur sprach Quasimodo, der Eisenbahnersohn, als eine "dramatische Zerstörung der ererbten Inhalte".

Fortan spiegelte er in seiner Lyrik zunehmend politische Prozesse wider. Als er in Stockholm den Nobelpreis entgegennahm, trug er einen seiner kritischen Essays vor, der das Verhältnis von Dichtung und Politik verhandelte: "Der Politiker will, dass der Mensch mutig sterbe, der Dichter dagegen, dass er mutig lebe, womit der Dichter zum verschworenen Feind jeder etablierten Ordnung wird."

Der kleine, in Wien ansässige Club der Freunde Quasimodos zeigt nun im Italienischen Kulturinstitut eine Ausstellung zu Ehren des Dichters: Literaturwissenschafter aus Italien, Wien, Ungarn und Göteborg trugen dazu bislang unveröffentlichte Aufnahmen und Dokumente über die lange Geschichte der Nobelpreisverleihung 1959 zusammen. (Isabella Hager, DER STANDARD/Printausgabe, 11.03.2009)

Bis 27. März