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Noch bis Sonntag ist das Buch König in Leipzig: Vier Tage lang präsentieren 2100 Aussteller auf der Frühjahrsbuchmesse ihr Programm – und rund 1200 Autoren lesen aus ihren Werken.

AP Photo/Matthias Rietschel

In Leipzig wird bis Sonntag die Krise selbst zur Ware.


Leipzig - In Leipzig ist die Kanzlerin nackt. Genauer gesagt: Zwischen Kultur- und Naturzustand haftet bei der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht mehr als ein hautenges Mieder. Es ist der Berliner Verlag Onkel & Onkel, der die deutsche Kanzlerin auf derart provokante Art entkleidet hat. Pünktlich zur heute beginnenden Frühjahrsbuchmesse in der sächsischen Messemetropole hat der kleine Independent-Verlag ein sogenanntes Angie Dress-Book auf den Markt gebracht.

Ganz wie in einem klassischen Scherenschnitt-Buch kann sich hier jeder seinen eigenen kleinen Kanzlerinnen-Dummy zusammenbasteln. Schnipp, schnapp: fertig! Am Ende lässt sich die Puppe bemänteln mit schönstem Gewand. Im Lieferumfang enthalten: ein papierener Kampfanzug, ein freches Dirndl oder der fesche Marilyn-Monroe-Look.

Vermutlich wird Onkel & Onkel in diesem Jahr der einzige Verlag in Leipzig sein, für den Politik derart zur Stilfrage verkommen ist. Und doch: Um Politik und nackte Tatsachen dreht es sich bei vielen der gut 2100 Aussteller. Denn immerhin ist 2009 nicht nur das Jahr der großen Krise. In Deutschland ist auch Superwahljahr.

Drei Landtagswahlen, eine Europa- und eine Bundestagswahl werden in den kommenden Monaten die Bevölkerung zwischen Sylt und Süchteln in Atem halten. Da ist es nur logisch, dass auch die Buchmesse politisierter daherkommt. Bei der DVA etwa hat man ein Buch angekündigt, das das Potenzial der Christdemokraten unter die Lupe nimmt. Unter dem Titel Die letzte Volkspartei analysiert dort Mariam Lau, was Merkel für Deutschlands Wähler sexy macht. Auf der anderen Seite der politischen Farbenlehre: der Deutsche Taschenbuchverlag. Wohin geht die SPD?, fragt dort Autor Daniel Friedrich Sturm.

Für viele sind das Randerscheinungen. Längst geht es auch auf dem Buchmarkt - das Angie Dress-Book hat ganz recht - um Hemd oder Rock. Um Rettung oder Untergang. Wenn es einen bereits jetzt erkennbaren Trend auf der Buchmesse gibt, dann besteht er aus hysterischen Büchern mit hysterischen Titeln. Vom baldigen Ende des Kapitalismus heißt da etwa ein Traktat eines bekannten deutschen Medienjournalisten. Beim Verlag Kiepenheuer und Witsch zählt man den Globalen Countdown, und der Politologe Elmar Altvater verspricht gar das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen.

Selbst die im letzten Jahr noch gefeierte Rückkehr der Religion kommt heuer ohne Heilsversprechen aus. Die biblischen Plagen. Zorn Gottes oder Rache der Natur heißt ein Werk der Journalistin Claudia Moroni. 320 Seiten, bei denen es auch dem letzten Zweifler wie Schuppen von den Augen fällt: Das Armageddon, es fängt irgendwo in Leipzig an.

Untergehen aber werden nur die Anderen. Der Buchmesse selbst geht es trotz eines kleinen Rückgangs der Ausstellerzahl prächtig. Die frohe Botschaft hat Messe-Direktor Oliver Zille: „Der Buchmarkt zeigt sich auf der Buchmesse stabil." Mit einem kleinen Schwerpunkt zur chinesischen Literatur will man einen Vorgeschmack auf das kommende Gastland der Buchmesse in Frankfurt geben. Zudem kommen zahlreiche deutsche wie internationale Autorenstars. Angekündigt haben sich 1200 Schriftsteller. Darunter T. C. Boyle, György Konrád, und André Kubiczek.

Zurück zur Krise. Auch Österreichs Autoren wollen nicht hinten anstehen, wenn es darum geht, der Baisse den letzten Penny abzupressen. Der Wiener Publizist Robert Misik etwa stellt ein Buch vor, das sich mit den fehlgeschlagenen Ideologien hinter dem aktuellen Crash beschäftigt. Misiks Lösung: Wir müssen zurück zu linken Politikansätzen. Ein Vorhaben, das in Leipzig viele Autoren diskutieren. Da ist es gut, dass zumindest der Berliner Kultautor Wladimir Kaminer noch weiß, wie öde die Ära der politischen Linken wirklich war. Sein aktueller Titel: Es gab keinen Sex im Sozialismus.

Soweit wird man es auch auf den freien Buchmärkten in Leipzig nicht kommen lassen. Solange es Bücher wie das Angie Dress-Book gibt, solange gibt es Hoffnung. Auch 2009 werden die durchschlagenden Bücher von Menschen gemacht, die der Wirklichkeit an die Wäsche gehen. Nie war es schließlich so offensichtlich wie heute: Die Politik ist nackt; und die Wirtschaft liegt entblättert darnieder. (Ralf Hanselle / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.3.2009)