Denn die sind gut für die Kunst - und uns alle. Interview: Johannes Lau
Standard: Dass Musiker übers Web bekannt werden, ist seit Clap Your Hands Say Yeah oder Arctic Monkeys nichts Neues. Bei Ihnen ist es anders: Sie sind sehr bekannt - aber ausschließlich im Internet. Sie können sogar von Ihrer Musik leben. Demnächst erscheint Ihre erste Live-DVD.
Jonathan Coulton: 1995 lebte ich als Software-Designer in New York und spielte mit ungeübten Bands vor Freunden. Ohne Web hätte sich für mich nichts geändert. Keine Ahnung, wie jemand früher ohne das Web bekanntgeworden ist - vermutlich durch Glück und Arbeit. Die Arbeit aber machte für mich das Web.
Standard: Von ganz allein kam das sicher nicht.
Coulton: Ich schreibe im Web viel über Themen, die den Geeks gefallen. Und die Geeks halten nun einmal das Web in Betrieb. Sie podcasten, bloggen, basteln Videos, tauschen MP3s. Die meisten Leute lernen mich durch ihre Freunde kennen - eine wirksamere Werbung kann ein neuer Künstler gar nicht bekommen.
Standard: Sie gelten als Repräsentant der "Geek"-Kultur. Wie definieren Sie den Begriff?
Coulton: Ein Geek zu sein, hat in erster Linie mit Leidenschaft zu tun. Es gibt Nischen für alle, und wer in einer Nische leidenschaftlich engagiert ist, ist vermutlich auch ein Geek. Du bist Dingen mit Haut und Haaren verpflichtet, die anderen sehr, sehr komisch vorkommen.
Standard: Warum bekommt die Geek-Kultur neuerdings so viel Aufmerksamkeit?
Coulton: Ein Geek zu sein, ist immer noch nicht cool. Das ist nur eine hippe aktuelle Marketingstrategie. Im Mainstream haben Themen und Gegenstände der Geeks immer noch den Schein des Bizarren. Der Begriff "Geek" hat sehr viel zu tun mit dem Dasein als Außenseiter - und die Szene versteht sich schließlich auch nicht als Mainstream.
Standard: Inzwischen verdienen Sie mehr als früher als Programmierer. Aber ist File-Sharing nicht geschäftsschädigend für Musiker?
Coulton: In der Musikverbreitung hat das Web inzwischen die Oberhand. Ich kann dadurch Musik verkaufen, ohne für Herstellung und Veröffentlichung viel Geld auszugeben. Der Großteil meines Einkommens stammt von digitalen Verkäufen via MP3-Download.
Standard: Durch eine unbegrenzte Freigabe verlieren Sie doch die Kontrolle über die Musik?
Coulton: Meine Lieder tragen alle eine Creative-Commons-Lizenz (d. h. sie dürfen für nichtkommerzielle Zwecke weiterverwendet werden, Anm.). Das ist eine tolle Sache für mich. Es ermöglicht mir, unbesorgt die Musik mit meinen Fans zu teilen - was mir sicher viele neue Fans gebracht hat. Zudem erlaubt es den Leuten, Cover-Versionen, Musikvideos, Remixes usw. von meinen Liedern zu machen. All das wird zu neuen Versionen meiner Musik, die wiederum gehört und gesehen wird von anderen Menschen. Das hilft mir nicht nur, ein breiteres Publikum zu erreichen. Für mich ist es eine sehr befriedigende Art von Vernetzung, wenn ich all diese neuen kreativen Arbeiten sehe, die von meinen Ideen inspiriert sind.
Standard: Es geht Ihnen auch darum, als Künstler auf neue Art mit Fans zu kommunizieren?
Coulton: An der Idee von Creative Commons (CC) gefällt mir, dass es so viel für die Kreativität anderer bietet. Du schaffst etwas, das wiederum auf etwas anderem basiert. Und wenn du es in die Welt rausschickst, trägst du einen kleinen künstlerischen Teil zum großen menschlichen Ganzen bei. Es ist ein Suppentopf voller Ideen, wo Dinge an der Oberfläche Blasen schlagen und sich in den großen Zusammenhang fügen. Wer Kunst so definiert, dem wird es nicht schwerfallen, die Idee von Creative Commons zu mögen.
Standard: Also befürworten Sie den freien Datenaustausch, wie er auch auf Thepiratebay.org passiert? Die Pirate-Bay-Betreiber stehen dafür bekanntlich wegen angeblicher Urheberrechtsverletzung gerade vor Gericht.
Coulton: Ich bin absolut kein Piratenunterstützer. Eine bestimmte Nutzung von BitTorrent und P2P halte ich einfach für unmoralisch. Dennoch sollte eine Technik wie BitTorrent nicht ungenutzt bleiben, nur weil bestimmte Anwendungen moralisch falsch sind. Der Prozess löst das Problem nicht, ebenso wenig wie Regulierungen oder Verbote das tun. Piraterie kann man nicht stoppen, sie ist Teil unserer Kultur geworden, ein unvermeidbarer Nebeneffekt digitaler Kommunikation. Ich versuche mit der Piraterie zu koexistieren. Meine Lieder sind dort verfügbar, wo man sie hören will. Daten sollten frei bewegt werden können. Wenn du schon mit einem kostenlosen Angebot konkurrierst, solltest du zumindest erreichbar sein und die Herausforderung annehmen. Dass die alte Medienindustrie das ignoriert, wird sie umbringen.
Standard: Was sagt die Musikindustrie zu CC?
Coulton: Eine neue Idee ist nicht immer leicht zu verstehen. Verschiedene Konzerne finden die Idee furchtbar. Ich selbst war anfangs skeptisch. Aber immer mehr etablierte Künstler bieten Gratisdownloads und normalen Verkauf nebeneinander an. Das letzte "Nine Inch Nails"-Album hatte eine CC-Lizenz und war ein Verkaufserfolg. Je mehr Künstler das Konzept erfolgreich praktizieren, desto wohler wird sich die Industrie damit fühlen. Mir fällt aber kein Grund ein, warum das System der Creative Commons Musiker und Fans unglücklicher machen sollte. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.3.2009)