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Telekom-Austria-Vorstand Gernot Schieszler wurde "Opfer" - das YouTube-Video findet sich übrigens nicht mehr bei YouTube - die Telekom Austria hat dies unterbunden.

Foto: Archiv

Seit es das Netz gibt, tönt die (berechtigte) Warnung, "Big Brother is watching you". Seit es Google gibt, gilt "Little Brother is watching you": Es sind die Nachbarn, Personalchefs und sonstige übelmeinende Zeitgenossen, die uns ausspionieren.

Die Rache der kleinen Leute

Aber die kleinen Leute rächen sich, und spätestens seit es YouTube und eine Kamera in jedem Handy gibt, wird der Spieß umgekehrt: "Big Brother is being watched".

AUA- und Telekom-Austria-Vorstand als "Opfer"

Die jüngsten "Opfer" ihres Leichtsinns waren in Österreich in kurzer Abfolge der AUA-Vorstand und Telekom-Austria-Vorstand Gernot Schieszler. Der AUA-Vorstand schilderte in einer Mitarbeiterversammlung in dramatischen Worten, dass dem Unternehmen die Pleite drohe - eine Situation, die trotz deutlich erkennbarer Schwierigkeiten nach außen stets behübscht wurde. Noch schlimmer aber traf es Schieszler: Er erklärte vor Aktionären und laufender Kamera seine erstaunlichen Mobbingmethoden, wie er unerwünschte Mitarbeiter loswerden will. Solche Informationen drangen auch im Prä-Internet-Zeitalter oft nach außen, und Medien haben darüber berichtet.

Kamera läuft mit

Aber Aussagen wie diese ließen sich leichter dementieren: Alles Missverständnisse, so nie gesagt, aus dem Zusammenhang gerissen etc. - die Ausredenpalette ist bekannt. Dazu kommen möglicherweise Klagsdrohungen, denen sich aufgrund der journalistischen Verpflichtung zum Schutz von Informanten oft schlecht begegnen lässt. Aber bei laufender Videokamera ist Leugnen zwecklos, jeder kann hören und sehen, dass der Kaiser keine Kleider hat. Bei den beiden genannten Vorfällen lieferten obendrein die Unternehmen selbst das Beweismaterial: Die Aufzeichnungen entstanden für das Unternehmens-Intranet (AUA) bzw. standen als Investoreninformation online (TA). Natürlich werden auch Unternehmen, Manager und Politiker lernen, mit der unerwarteten neuen Publizität umzugehen: (noch) besser schweigen oder neutral formulieren lernen, nicht selbst noch den Videofeed liefern, an dem man später festgemacht wird.

Die mediatisierte Gesellschaft

Aber so einfach lässt sich die Zahnpaste nicht in die Tube zurückdrücken, wir leben längst in der mediatisierten Gesellschaft, in der auch scheinbar private Momente vielfach dokumentiert werden. WikiLeaks.org ist eine Website, die mit wechselndem Erfolg versucht, das "Whistleblower"-Prinzip (quasi Kronzeugen, oder wie es Unternehmen wahrscheinlich sehen: Verräter) zu verankern. Hier kann jeder, nach Art von Wikipedia (die sich von WikiLeaks distanziert) Skandale und Skandälchen veröffentlichen. Leider auch unbestätigte und unbestätigbare Gerüchte, die anonym gepostet werden - die Grenze zur Vernaderung ist sehr sehr durchlässig.

Die ethisch problematische Seite

Trotzdem: Viele Skandale, von Watergate bis zu "herrenlosen" Schweizer Bankkonten, können ohne Informanten aus der jeweiligen Innenseite nicht aufgedeckt werden. Solche Veröffentlichungen haben immer eine ethisch problematische Seite. Aber zumindest ein bisschen verschieben sie die Machtverhältnisse wieder zugunsten der Schwächeren. Und das ist es wert, sich auch mit Nebenwirkungen herumzuschlagen.(Helmut Spudich/DER STANDARD, Printausgabe vom 12.3.2009)