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"Die hat sich in der Saison vertan!"

Foto: APA/dpa/Christian Hager

Irgendwann im Jänner schnürten wir durch die komplett vereiste Wiener Innenstadt, die Renate G. und ich. Früher Abend. Praktisch horizontales Schneetreiben über dem Donaukanal. Sauwetter also, an Frühling noch nicht einmal ein winzig kleiner Gedanke. Einziges Ziel: drinnen.

Wir gingen den Schwedenplatz entlang, Richtung Marc-Aurel-Straße. Auf der Höhe Ruprechtskirche blieben wir zeitgleich plötzlich stehen und schauten uns leicht fassungslos an. "Die spinnt!", entfuhr es der Freundin mit aufgerissenen himmelblauen Äugelein, "Die hat sich in der Saison vertan!"

Es sang die Amsel, oder besser, der Amslerich. Mitten im Schnee. Auf einem mageren Bäumchen sitzend, rundherum ein einziger weißer Wirbel. Auch kalte Seelen, könnte man sagen, wären an dieser Stelle ein wenig angetaut worden. Und wir, die wir an Sentimentalität ja insgesamt eher reich denn arm sind - was uns nicht immer, aber doch oft zum Vorteil gereicht - wir standen jedenfalls ein Weilchen im Schneesturm und hörten ihr zu und wärmten uns innerlich an ihrem herrlichen Gesang.

Bis zu 300 "Elemente"

Weil: Amselsingen heißt Frühling, das ist solarplexusmäßig irgendwie abgespeichert. Amseln und Nachtigallen sind die größten Sänger unter den heimischen Singvögeln. Wir wollen den anderen Schreihälsen jetzt nicht unrecht tun, die können's schon auch recht fesch. Aber auf bis zu 300 "Elemente" des Gesanges wie ein gut trainierter Amselhahn bringt es kein anderer Vogelmann. Bis auf den Nachtigallerich eben. Der hat bis zu 400 Elemente im Repertoire.

Wenn man dann jemandem erzählt, dass man im Laufe der Zeit lernt, die verschiedenen Amseln im Revier kraft ihres Gesanges zu unterscheiden, weil die einen eben doch ein bisschen kunstvoller singen als die anderen, glaubt das kaum jemand. Aber es stimmt. Die Vogelmänner, die ihre Reviere unter anderem mittels lauten Gezwitschers abstecken, müssen das Singen erst lernen. Durch Zuhören zum Beispiel.

Aber das gelingt ihnen erst gegen Frühsommer, wenn die Reviere dann aufgeteilt sind. Vorher schreien sich die Rivalen sicherheitshalber gegenseitig nieder. Hört ein Amselhahn einen anderen singen, berichtet der deutsche Vogelgesangsforscher Dietmar Todt, kann er schon sieben Hundertstelsekunden nach Strophenbeginn mit seiner eigenen Strophe einfallen.

Zwiegesang

Erst später in der Saison entwickeln die Amseln eine Art Zwiegesang. Das funktioniert so: Der eine hört dem anderen zu, in der Pause zwischen den Strophen singt er dann selbst und der andere hält lauschend den Schnabel. Todt: "Dieses tritt bevorzugt erst dann auf, wenn sich die Nachbarn besser kennen, die territoriale Situation entspannter geworden ist und sich daher ein gelassen wirkender Gesangsstil etabliert hat."

Schön drückt er das aus. Vielleicht sollte man das österreichische Parlament ein Weilchen mit spätfrühlingshaftem Amselgesang beschallen. Nutzt's nix, schadt's nix. Sicherheitshalber widmen wir uns demnächst dem Paviangebrüll im Käfig ... (Ute Woltron/Der Standard/rondo/13/03/2009)