Post-Chef Anton Wais sieht sich als Generaldirektor zum Angreifen, kennt das Dilemma seiner Gewerkschaft ("nicht Fisch, nicht Fleisch" ) und den Unterschied zwischen Hunden und Managern.

Foto: STANDARD/Hendrich

Warum ihn Kritik nicht anficht, er von seinem eigenen Auftritt fasziniert ist und was er ’68 langhaarig in Paris tat, erzählte er Renate Graber.

***

STANDARD: Jane Fonda, da neben Ihnen auf dem Foto?

Wais: Ja. Die Post war Viennale-Sponsor, und ich habe dem Spezialgast der Viennale immer seine persönliche Briefmarke überreicht. Schauen Sie, das war heuer: Isabelle Huppert und ich. Und daneben ...

STANDARD: Sie bei der Lesung der Ilias auf der Burgtheater-Bühne. Der designierte Burgchef, Matthias Hartmann, sagt ja, das ganze Leben sei Theater. Ihres hier auch?

Wais: Wir haben hier nicht Theater, sondern jeden Tag Premiere - ohne Probe.

STANDARD: Sie wollten ohnedies immer Regisseur werden ...

Wais: Ja, aber Theaterregisseur ist nicht so anstrengend wie Post-Chef. Er muss zwar Tag und Nacht arbeiten vor einer Premiere, aber dann ist's vorbei. Bei uns muss man immer ins kalte Wasser springen.

STANDARD: Als Theaterfan schreiben Sie Kritiken, weil Ihnen die der Professionisten nicht gefallen ...

Wais: Ja, 70 habe ich schon, bei hundert gebe ich ein Buch heraus. Aber das hab ich bald, weil ich gehe ja locker zweimal die Woche ins Theater, jetzt, da ich Zeit habe.

STANDARD: ... wie würde denn Ihre Kurzkritik über Anton Wais in der Österreichischen Post AG aussehen?

Wais: Ich habe alles erreicht, was man mit diesem Unternehmen in zehn Jahren erreichen konnte: Stand-alone trotz lauten Rufs nach strategischem Partner ...

STANDARD: Sie wollten doch die Deutsche Post ins Boot holen.

Wais: Ich wollte die Deutschen aber nicht als Herr im Haus haben, das wurde falsch verstanden. Ich hätte gern Geld für Investitionen gehabt, das haben wir dann selbst verdient.

STANDARD: Sie waren ab 1971 sieben Jahre lang Kabinettschef bei SP-Handelsminister Staribacher, bei Siemens, zehn Jahre bei der Post. Warum war Letzteres Ihr liebster Job?

Wais: Weil ich Generaldirektor war.

STANDARD: Sie wollten unbedingt Erster sein?

Wais: Ich wusste, das man aus dem Unternehmen, das die Post 1999 war, mit modernen Managementmethoden etwas völlig Neues machen konnte. Die Post war damals ja fast ein Ministerium.

STANDARD: Sie gehen aber nicht als Held, sondern verlassen die Post wegen Ihrer Einsparungen und Postamtsschließungen unter harscher Kritik von Gewerkschaft, Öffentlichkeit und auch SPÖ. Stört Sie Kanzler Faymanns Kritik?

Wais: Jeder hat seine Rolle. Ich war, seit der Zeit beim alten Staribacher, tief sozialpartnerschaftlich geprägt. Bei Staribacher haben Sie da hineingestochen (zeigt in die Armbeuge) und da ist Sozialpartnerschaft herausgeronnen. Damals habe ich gelernt, Standespolitik zu machen. In der Post habe ich mit der Gewerkschaft leider keine Standespolitik oder Sozialpartnerschaft erlebt, sondern eher politische Opposition im eigenen Haus.

STANDARD: Vielleicht hätten Sie Ihre Betriebsräte bekochen oder zur Ayurveda-Kur einladen sollen, wie Ihre "Prätorianer" , wie Sie Ihre engen Mitarbeiter nennen.

Wais: Nein, wirklich nicht. Ich habe ihnen einst um 600.000 Schilling eine betriebswirtschaftliche Ausbildung bezahlt, aber das war nicht erfolgreich.

STANDARD: Zurück zu meiner Frage: Auch als Patron, der Sie gern wären, verlassen Sie Ihr Haus nicht ...

Wais: Ich verlasse es nicht, ich gehe. Ich war ein Generaldirektor zum Angreifen, bis zuletzt in Postämtern und Verteilzentren unterwegs. Ich weiß genau, wie man ein großes Schiff durch immer höhere Wellen führt. Ich habe die Bruttoregistertonnen erhöht, um standzuhalten. Ich fühle mich übrigens nicht als Patron, als Kapitän schon.

STANDARD: Was haben Sie denn nicht geschafft bei der Post?

Wais: Ich habe es nicht geschafft, dass sich in diesem Unternehmen die Gewerkschaft wie ein Sozialpartner verhält.

STANDARD: Warum nicht?

Wais: Weil sie untereinander zerstritten sind.

STANDARD: Sie selbst haben keinen Fehler gemacht?

Wais: Ich habe keine Fehler gemacht. Ich habe x-mal versucht, alle unter einen Hut zu bringen. Wir haben Klausuren veranstaltet in günstiger Umgebung wie in Rust. Aber da waren zwei Gesichter: im Unternehmen Sozialpartner, mit denen wir zig Betriebsvereinbarungen unterschrieben haben - und außerhalb: Opposition.

STANDARD: Sie sind gleich bei Ihrem Amtsantritt bestreikt worden, vorige Weihnachten am Streik vorbeigeschrammt, ficht Sie das an?

Wais: Ich bin immer bestreikt worden. Aber das kränkt mich nicht. Ich habe Verständnis, wenn man mit Särgen und Trillerpfeiferln herumgeht, weil ich ein politischer Mensch bin. Ich war schließlich ein 68er.

STANDARD: Langes Haar und Bart?

Wais: Mit langen Haaren und Schnurrbart. Und ich war in Paris, habe Cohn-Bendit an der Sorbonne gehört und am Boulevard Saint-Michel Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir ihre Zeitung abgekauft: La cause du peuple. Ich bin auch frankophil. Das hat mich alles sehr fasziniert.

STANDARD: Und gemäß dem Spruch "Wer in der Jugend nicht links war, war nicht jung, und wer im Alter nicht konservativ wird, hat nichts dazugelernt" sind Sie konservativ?

Wais: Ja, aber vielleicht ändert sich das ein bisschen, wenn ich aus der Post draußen bin. Wissen Sie, ich bin froh, dass man sich jetzt mit den Theoretikern beschäftigt, dass es Bücher gibt, in denen Van Mises, Keynes, Marx erklärt werden ...

STANDARD: "Das Kapital" werden Sie bei den Festwochen anhören? Da wird daraus vorgetragen.

Wais: Der Qualtinger hat ja auch daraus gelesen. Ich glaube, dass Marx' These von der Akkumulation des Kapitals heute noch hundertprozentig gültig ist. Diese unkontrollierte Akkumulation hat zur heutigen Krise geführt. Jetzt gleitet die Welt hinüber in die Pragmatisierung des Proletariers, wie ich meine Theorie nenne.

STANDARD: Wie geht die?

Wais:  Nehmen Sie Kurzarbeit für 18 Monate: Eineinhalb Jahre Unkündbarkeit, das ist mehr als Pragmatisierung für einen Arbeiter. Solange es aber Unkündbarkeit gibt, gibt es die Zwei-Klassen-Gesellschaft: Beamte und andere. Ich habe oft versucht, Beamte ins Angestelltenverhältnis zu hieven, ihnen doppelt so viel Gehalt geboten, aber sie wollten nicht. Lieber behalten sie die Unkündbarkeit.

STANDARD: Sorry, dass ich sprunghaft bin, aber was hat es mit Ihrem Siegelring da auf sich?

Wais: Das ist das Familienwappen meiner Frau.

STANDARD: Darum hat sie in der Creditanstalt gearbeitet.

Wais: Nein, sie hat nicht zum adeligen CA-Clan gehört. Einer ihrer Vorfahren war ein adeliger Offizier der Napoleonischen Armee bei der Schlacht in Deutsch Wagram. Er hat sich in eine Winzerstochter bei Matzen verliebt, ist da hängengeblieben. Er hat sie geheiratet, sein Sohn war Direktor des alten Burgtheaters am Michaelerplatz. Also habe ich einen Konnex zum Burgtheater. Und in Frankreich war es üblich, das Wappen am Ring durchzustreichen, wenn ein Parvenue eine Adelige geheiratet hat. Schauen Sie: durchgestrichen.

STANDARD: Zurück ins Jetzt. Ist die Gewerkschaft flexibel genug für die neuen Herausforderungen?

Wais: Ja, aber nicht bei den Beamten. Meine Postgewerkschaft ist in einem unheimlichen Dilemma. Sie vertritt ja 22.000 Hackler: Menschen, die Packerln schupfen, Briefe austragen, auflegen, mit dem Auto durch den Schnee fahren. Andererseits sind sie im ÖGB Beamte, und die Beamtengewerkschaft ist schwarz, und die Postgewerkschaft daher nicht Fisch und nicht Fleisch. Und sie bewahrt ständig, verändert sich nicht, und das tut niemandem gut.

STANDARD: Sie haben aber Ihre Karriere selbst in einem Ministerium begonnen.

Wais: Ja, aber als Angestellter. Ich kam damals zu meiner Angelobung, und da standen zwei Kerzen und ein Kruzifix. Damals fragte ich, was beim Angeloben der Unterschied zwischen Vertragsbediensteten und Beamten ist. Antwort: Beim Beamten werden die Kerzen angezündet. Da wusste ich: Wir leben in einer anderen Welt, wir, außerhalb des Ministeriums.

STANDARD: Warum mögen Sie eigentlich Theater und Bühne so?

Wais: Es hat mich immer fasziniert. Mich fasziniert auch mein Auftreten, egal, ob vor 13 oder 500 Managern. Ich trete gern auf und vermittle einem Publikum gern, was mir wichtig ist. Das liegt mir einfach.

STANDARD: Sie dirigieren eben gern?

Wais: Nein, ich dirigiere nicht. Aber ich spiele Ziehharmonika. Ich habe als Kind in einem Orchester gespielt: Arbeitermusikverein Forte im 20. Bezirk. Geprobt haben wir in einem Gemeindebau, im Keller. Der Dirigent hatte viel Freizeit: Er war bei der Post.

STANDARD: Sie gehen aus gesundheitlichen Gründen in Pension ...

Wais: Meine Kardiologin sagt, jedes Jahr länger im Job kostet mich zwei Jahre meiner Lebenserwartung.

STANDARD: ... haben Sie schon einen eigenen Hund? Sie borgen zum Spazierengehen immer fremde aus.

Wais: Ich bin noch nicht bereit, Verantwortung für einen Hund zu übernehmen.

STANDARD: Verstehe ich nicht. Sie haben 27.000 Leute unter sich, scheuen aber die Verantwortung für einen Hund?

Wais: Ein Hund wird sozusagen nie erwachsen, das Management habe ich mir erziehen können.

STANDARD: Sie sagen: "Ich kenne keine Angst." Stimmt nicht, oder?

Wais: Doch. Die meisten Leute haben Angst vor dem Tod. Ich habe vor zwölf Jahren mit Ayurveda begonnen, damals bin ich aus der Kirche ausgetreten. Aber nicht wegen der Ayurveda-Lehre, sondern wegen Groër und Krenn. Seither habe ich mich viel mit tibetischer Mystik und Glaubenslehren beschäftigt. Ich habe mich schon früh mit irren Fragen beschäftigt: In Französisch habe ich zu "Ist der Nihilismus ein Humanismus?" maturiert.

STANDARD: Was war Ihr Schluss?

Wais: Der Heideggers: Der Nihilismus ist gar nichts.

STANDARD: Worum geht's im Leben?

Wais: Zufriedenheit in einer Form zu finden, dass einem das Leben Spaß macht. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14./15.3.2009)