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Raue Zeiten, ungewohnte Bilder: Arbeitslose Japaner zogen im vergangenen Jänner vor das Parlament in Tokio.

Foto: AP /Kyodo News

Zur Rezession ist nun die innenpolitische Krise hinzugekommen: Japans Oppositionspartei DPJ, die sich auf die Regierungsübernahme vorbereitet, muss sich mit einer Korruptionsaffäre herumschlagen.

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Kaufen, kaufen, kaufen. Auf und zu geht die Hand der Fischhändler, sie halten mit, soll das heißen. Vorn, auf einer Kiste stehend, bellt der Auktionator die Preise, die die Händler in die Höhe pumpen, auf und zu, und nach kaum einer Minute ist Schluss. Irgendjemand hat den Zuschlag erhalten für das halbe Dutzend Tunfische, das, aufgereiht und tiefgefroren, auf dem Boden liegt. Besonders hoch wird der Preis nicht gewesen sein. Die Kunden wollen billigeren Fisch, sagt Morimoto Hiroyuki, der Leiter des wohl größten Fischmarktes der Welt.

Die Wirtschaftskrise hat natürlich auch nicht vor dem Tsukiji-Markt in Tokio haltgemacht. Wenn Japan morgens aufsteht, hat die Rezession schon am Handel in Tsukiji gesägt. 700Yen, umgerechnet 5,60Euro das Kilo, kostet so ein Thunfisch minderer Qualität. Der Verbrauch hat nachgelassen, doch die Fangmenge bleibt dieselbe, meint Hiroyuki. In fünf Jahren will er mit seinem Markt umziehen auf ein größeres, moderneres Gelände und Platz machen für die Olympischen Sommerspiele 2016, die Tokio haben will. Es muss vorwärts gehen.

Kaufen, kaufen, kaufen. Auch Ichiro Ozawa hat die Hand unentwegt auf- und zugemacht, wenn stimmt, was die Staatsanwaltschaft in Tokio glaubt. Der 66-Jährige soll sich seinen Platz in der japanischen Politik durch illegale Parteispenden geschaffen haben und steuerte im Gegenzug die Vergabe öffentlicher Bauaufträge an seine Gönner. Weil Ozawa aber der Chef der größten Oppositionspartei ist und der Skandal just zu jener Zeit publik wurde, da erstmals seit einem halben Jahrhundert die Ablösung der regierenden Liberaldemokraten (LDP) in greifbarer Nähe ist, hat Japan neben der Wirtschaftskrise nun auch noch ein enormes innenpolitisches Problem.

Unpopulärer Premier

Nahezu jeden Tag blasen Japans Zeitungen und Fernsehsender neue Umfragen in die Öffentlichkeit, die von der Verfahrenheit der politischen Lage zeugen. Ozawas Demokratische Partei Japans (DPJ) oder Minshuto soll die Affäre um ihren Parteichef sechs Prozentpunkte gekostet haben. Premierminister Taro Aso, der noch kein halbes Jahr im Amt ist, krebst bei 14 bis 17 Prozent herum. Dem unpopulären Regierungschef, so müssen selbst eiserne Anhänger der LDP einräumen, nützt auch die Krise um die Oppositionspartei nichts mehr. Im nächsten Monat sind vielleicht schon Neuwahlen.

Durch die Büros der Abgeordneten von Unter- und Oberhaus zieht deshalb in diesen Tagen ein unerhörter Freigeist. Wer bei Takashi Wada anklopft, einem DPJ-Politiker aus der Präfektur Hiroshima, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Er habe nicht den Eindruck, dass die Wähler denken, die DPJ sei die bessere Partei, sagt Wada und strahlt dabei. Was die Japaner in Wirklichkeit wollen, sei ein kompletter Wandel der Parteienlandschaft durch den Abbau der alten LDP: "Sowohl LDP als auch DPJ sind derzeit nicht in der Lage, die Regierung zu übernehmen und gute Politik zu machen."

Ein paar Türen weiter räsoniert Parteifreund Yun Azumi, auch er mit 46 Jahren ein - gemessen an den landesüblichen Verhältnissen - Vertreter der "jungen" Generation, über die Zeit, die dem schwer beschädigten DPJ-Vorsitzenden gelassen werden soll. Ozawa habe eine große Rolle beim historischen Sieg im Oberhaus im Sommer 2007 gespielt, sagt Azumi, "aber er hat es nicht allein gemacht. Wir haben gewonnen wegen der Hoffnungen der Japaner auf einen Wechsel".

54 Jahre regieren die Liberaldemokraten nun, nur 1993 gab es eine kleine Pause von zehn Monaten. Ja, das sei zu lang, sagt Ichita Yamamoto, ein LDP-Abgeordneter aus dem Oberhaus, der gegen Aso im Rennen um den Parteivorsitz kandidierte und gerade seine fünfte CD als rappender Nachwuchspolitiker (50) aufgenommen hat - "wir brauchen einen Machtwechsel".

Ein Gefühl der verpassten Chancen hat die Japaner nun kurz vor Frühlingsbeginn erfasst. Nichts scheint ihnen nach dem Abtritt des Reformer-Premiers Junichiro Koizumi 2006 gelungen zu sein: Der innenpolitische Aufbruch ist versandet und der mittlerweile dritte LDP-Regierungschef nach Koizumi aufgebraucht; die Phase des Wirtschaftsaufschwungs nach 15 Jahren Stagnation schon wieder dahin - um zwölf Prozent schrumpfte die Wirtschaft im letzten Quartal 2008, gab die Regierung am Donnerstag bekannt. 12.000 Yen, nicht ganz 100 Euro, zahlt sie jetzt an jeden Bürger aus. Kaufen, kaufen, kaufen, heißt die Devise. Restaurants bieten deshalb schon 12.000-Yen-Fischgerichte an: wenigstens einmal gut essen gehen und nicht an die Krise denken. (Markus Bernath aus Tokio/DER STANDARD, Printausgabe, 14./15.3.2009)