Latrinenglück: "Slumdog" Jamal (Ayush M. Khedekar).

Foto: Filmladen

Wien - Das Exotische und das universell Vertraute formen in Danny Boyles Slumdog Millionär eine nahtlose Einheit. Who Wants To Be A Millionaire - in Österreich kennt man die Sendung unter Die Millionenshow - ist die eine Zutat für dieses Masala, ein globales Erfolgsformat, in dem nicht einmal das Setting und die Musik verändert wird. Und mindestens so vertraut wie die Show ist ihr innerstes Prinzip: den Traum vom schnell verdienten Geld wahrzumachen.

Jamal (Dev Patel), der Teejunge aus den Slums von Mumbai, steht als Kandidat kurz vor seinem größten Erfolg, als er von der Polizei als vermeintlicher Betrüger festgenommen und gefoltert wird; mit diesem effektvollen Beginn öffnet sich in Slumdog Millionär die zweite Tür: Zu Jamals Vorgeschichte, eine an Charles-Dickens-Romane gemahnende Tour durch die unwirscheren Vororte der Millionenstadt, die in retrospektiven Schüben sein entbehrungsreiches Dasein aufbereitet. Erst dieses hat ihm sein Straßenwissen eingebracht, mit dem er nun in der Show glücklich zu reüssieren vermag.

Das eigentlich Verblüffende an Slumdog Millionär ist indes die Erfolgswelle, die ihm neben acht Oscars auch die Einschätzung bescherte, tatsächlich für etwas Neues zu stehen. Offenbar trifft der Film in seiner Verquickung diverser Stile, die für den Durchschnittskinobesucher etwas außer Reichweite liegen, einen Wunsch nach Erneuerung durch kulturellen Import - etwas, worauf sich früher auch Hollywood gut verstand: Dass nun einer britischen Produktion ebensolches gelingt, zeigt vor allem an, wie mutlos amerikanische Majorstudios geworden sind.

Mit Bollywood, der indischen Kinoindustrie und ihren üppigen musikalischen Melodramen, hat Slumdog Millionär trotz lokalem Cast und der Mitwirkung von Erfolgskomponist A. R. Rahman nur oberflächlich zu tun. Boyles Ansatz ist der eines Außenstehenden, der sich bestimmter Elemente bedient - etwa der ungebrochenen romantischen Emphase, Tanzeinlagen und einer überbordenden Farbvielfalt -, um sie mit einer einigermaßen schematischen Handlung von skrupellosen Gangstern zu vermengen, die Jamals Lebensliebe Latika (Freida Pinto) unter ihrer Gewalt halten.

Der Pseudo-Sozialrealismus von Mumbais Slums, die in griffigen, aber stets kalkuliert zu Herzen gehenden Szenen gipfelt, in denen ein mit Kot beschmierter Junge seinem Bollywood-Star Amitabh Bachchan entgegentritt, läuft dabei genauso auf hybriden Pop hinaus wie Anthony Dot Mantles Wackelkamera, die das ausdrucksstarke Detail gegenüber dem Gesellschaftspanorama bevorzugt. Slumdog Millionär steht so vor allem für die Einebnung einer Bilderkultur - mit dem Ziel, sie möglichst verbraucherfreundlich zu machen. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/Printausgabe, 16.03.2009)