Wien - Das Zeitalter des Barock ist in Wien offenbar noch lange nicht zu Ende. In keiner anderen Stadt der Welt werden die Details aus dem Alltag einer Sängerin, vor allem wenn diese Anna Netrebko heißt, mit solch sabberndem Enthusiasmus protokolliert wie in Wien. Weil diese Protokolle ja wohl auch nur in Wien auf dieses geradezu fiebernde Interesse der Öffentlichkeit stoßen:

Lappalien wie zum Beispiel, in welchem Lokal und mit welchen Speisen sie ihren Appetit zu stillen geruht, werden ebenso andächtig zur Kenntnis genommen, wie die Nachricht der Staatsoperndirektion, dass die Netrebko tatsächlich anwesend ist und mit den Proben für Gaetano Donizettis Lucia di Lammermoor begonnen hat, allgemein ein erleichtertes Seufzen ausgelöst hat.

Betörende Bravour

Nun hat dieser Popstar der Opernszene aber nicht nur geprobt, sondern sie hat am Samstag die Lucia auch tatsächlich gesungen. Im Rausch der Begeisterung für die Bravour, die sie dabei bewiesen hat, könnte so mancher versucht sein zu sagen, sie hat die Lucia nicht nur gesungen, - sie ist sie gewesen. Abgesehen davon, dass man eine solche Frauengestalt, die sich verliebt, dann aber schließlich aus Familienräson einen anderen heiratet, den sie dann aber ersticht und letztlich selbst stirbt, überhaupt nicht darstellen, geschweige denn sein kann, scheint diese Partie der Netrebko nicht unbedingt auf den Leib geschrieben.

Trotzdem besticht diese Künstlerin vor allem durch ihre unauffällige Überpräsenz. Sie lässt nie die Primadonna heraushängen, auch nicht angesichts der Beifallsstürme an der Rampe. Und trotzdem ist sie allgegenwärtig.

Und dies vor allem musikalisch. Sei es mit den sicher und mit fast metallischer Strahlkraft gelandeten Hochtönen in den Ensembleszenen oder in der fast introvertierten Intimität ihrer Soli - hier vor allem in der Wahnsinnsarie. Ihre Stimme ist von dunkler Fraulichkeit. Und der Samt ihres Timbres wird auch in extremen Hochlagen nicht überdehnt. Sie liefert diese und auch die übrigen Arien als mit Intuition und perfekter Technik sensibel gestaltete Artefakte.

Zum Glück sind diese vom optischen Umfeld der trübseligen Repertoirevorstellung unabhängig. Sie werden jedoch durch Marco Armiliatos dirigentisches Temperament bestens unterstützt. Im Verein mit einer Glasharmonika als stimmungsvolles Begleitinstrument für die Wahnsinnsarie erhielt der Abend stellenweise dichtes musikalisches Format. Da können ansonsten nur noch Giuseppe Filianotis Tenor und George Peteans Bariton (mit Abstand) mithalten. (Peter Vujica, DER STANDARD/Printausgabe, 16.03.2009)