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Josef F. ist am Montag mit einem Aktenordner vor dem Gesicht in den Saal gekommen

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Vor dem Gerichtsgebäude herrschte enormer Medienandrang.

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St. Pölten - Unter regem nationalen und internationalen Medieninteresse hat heute im Landesgericht St. Pölten das von manchen als "Jahrhundertprozess" bezeichnete Strafverfahren gegen Josef F. begonnen. Der Angeklagte zeigte sich zu Beginn seiner Einvernahme teilweise geständig. Er gab zu, seine Tochter und die mit ihr im Keller gezeugten und dort verbliebenen Kinder an möglichen Fluchtversuchen gehindert zu haben, indem er ihnen weismachte, das Verlies mit Strom- und Gasfallen "gesichert" zu haben. Auch zur Freiheitsentziehung und zur Blutschande bekannte sich der 73-Jährige schuldig. Die Öffentlichkeit wurde nach zweistündiger Verhandlung ausgeschlossen.

Zu den inkriminierten sexuellen Handlungen sei er "teilweise schuldig", sagte F. Demgegenüber beteuerte der Angeklagte seine Schuldlosigkeit zu den massivsten Anklagepunkten. Den Mord durch Unterlassung wies er ebenso zurück wie den Sklavenhandel. Josef F. soll seine Tochter 24 Jahre lang in einem Verlies in Amstetten gefangen gehalten, hunderte Male missbraucht und mit ihr sieben Kinder gezeugt haben.

Erster Verhandlungstag "ruhig"

Gegen 16.15 wurde der erste Verhandlungstag abgeschlossen. Auch das Video der Tochter, das im Vorverfahren mit der mittlerweile 42-Jährigen aufgenommen wurde, haben die Geschworenen zum Teil schon zu sehen bekommen. Das gab Franz Cutka, der Sprecher des Landesgerichts St. Pölten, am Montagnachmittag bekannt. An der Pressekonferenz in dem überfüllten Veranstaltungszelt, das eigens für die Verhandlung  angemietet worden war, nahmen neben Cutka auch der St. Pöltner Polizeidirektor Johann Schadwasser und der stellvertretende Leiter der Justizanstalt St. Pölten, Erich Huber-Günsthofer, teil. Schadwasser bezeichnete den ersten Verhandlungstag als "im Großen und Ganzen ruhig". Es habe keine nennenswerten Vorkommnisse gegeben. Nur mit Demonstranten sei es zu einer Meinungsverschiedenheit über Aufstellungsorte gekommen. Es habe sich um einen "Auffassungsunterschied" gehandelt, "der bereinigt wurde".

"Geständnis wesentlichster Milderungsgrund"

Zitternd und mit gefalteten Händen hatte der Angeklagte zu Prozessbeginn Platz genommen, nachdem Richterin Andrea Humer den Prozess eröffnet hatte. F. war mit einem Aktenordner vor dem Gesicht in den Saal gekommen, Fragen von Medienvertretern beantwortete er nicht. Befürchtete Tumulte vor dem Gebäude waren ausgeblieben.

Nachdem die Richterin den Angeklagten ermahnt hatte, bei der Wahrheit zu bleiben ("Ein Geständnis wäre der wesentlichste Milderungsgrund"), wurden die Geschworenen vereidigt. Die Vorsitzende machte außerdem in einem Eingangsstatement deutlich, dass man es im vorliegenden Fall mit einem Einzeltäter zu tun habe: "Das ist nicht das Verfahren eines Ortes oder einer gesamten Nation!"

Josef F. habe ein Recht auf ein faires Verfahren, das Gericht sei "zur strengsten Objektivität verpflichtet", betonte Humer. Vor allem aber wären die Opferrechte zu berücksichtigen, sagte die Richterin. Es sei nicht zulässig, "aus reiner Sensationslust über Dinge aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich zu berichten".

"Unvorstellbares Martyrium"

Von einem "unvorstellbaren Martyrium" sprach Staatsanwältin Christiane Burkheiser in ihrem Eröffnungsvortrag. Josef F. wirke "wie ein netter alter Herr von nebenan". Sie bescheinigte ihm "ein gut gepflegtes Äußeres und höfliches Auftreten". Auch habe sich der 73-Jährige im Vorverfahren kooperativ gezeigt: "Er hat alle meine Fragen beantwortet." Sodann ging die Staatsanwältin aber hart ins Gericht mit dem Angeklagten, der "keine Anzeichen von Reue und Unrechtsbewusstsein gezeigt hat".

"Keiner kann sich wirklich vorstellen, was sich da unten abgespielt hat", kam Burkheiser auf die Vorgänge in dem Kellerverlies zu sprechen, in dem der Angeklagte seine Tochter 24 Jahre gefangen gehalten haben soll. Die ersten neun Jahre ihrer Gefangenschaft habe das Opfer auf elf Quadratmetern gelebt, ehe der Vater den Keller ausbaute. Bereits am zweiten Tag ihrer Gefangenschaft habe Josef F. die damals 18-Jährige "im Kellerverlies vergewaltigt".

"Es gab kein Warmwasser, keine Dusche, keine Heizung und vor allem kein Tageslicht und keine Frischluftzufuhr", beschrieb Burkheiser die Lebensumstände der Gefangenen. Diese habe lediglich aufgrund der undichten Mauern Luft zum Atmen gehabt. In den ersten neun Jahren habe es nichts außer einem Waschbecken, einem Schlafplatz und einer Kochplatte gegeben. Die Staatsanwältin überreichte den Geschworenen auch eine Box mit Gegenständen aus dem Keller. Sie selbst sprach von "Duftproben" und forderte die Laienrichter auf: "Riechen Sie an den Gegenständen!"

"Wie über Eigentum verfügt"

Der Angeklagte habe über seine Tochter wie sein Eigentum verfügt - er bestimmte, wann sie Lebensmittel oder Kleidung erhielt. Im ersten Jahr der Gefangenschaft habe es gar keine Kommunikation gegeben. Als unvorstellbar bezeichnete die Staatsanwältin auch die folgenden Geburten. 1993 habe der Beschuldigte die erste Kindesweglegung inszeniert, indem er seine Tochter einen Brief schreiben ließ, in dem sie ihre Beweggründe erklären musste. Es folgten eine Erweiterung des Kellerloches um zwei kleine Räume und dann im Februar 1994 eine neuerliche Kindesweglegung, wobei Josef F. seine Frau anrief und ihr mit verstellter Stimme ein weiteres Kind ankündigte.

Ausführlich ging die Staatsanwältin auf die Geburt von Zwillingen am 28. April 1996 ein: Der Angeklagte habe sporadisch nachgeschaut, aber nichts unternommen, als der eine Säugling zu keuchen begann und eine bläuliche Gesichtsfarbe bekam. Der Bub starb ohne jegliche medizinische Hilfe nach zweieinhalb Tagen. "Seinem eigenen Fleisch und Blut Hilfe zu verweigern", sei Mord durch Unterlassung, wandte sich die Staatsanwältin direkt an den Angeklagten. F. habe den kleinen Leichnam dann in der Nacht verbrannt, 16 Monate darauf kam es zu einer neuerlichen Kindesweglegung, 2002 zu einer weiteren Geburt.

Burkheiser betonte auch, dass der Beschuldigte seine Tochter jahrelang nötigte, indem er ihr die Sicherung des durch drei Türen verbarrikadierten Verlieses u.a. durch ausströmendes Gas beschrieb. "Sie war gebrochen", verwies die Staatsanwältin auf die 24-jährige Gefangenschaft im engen, modrigen Verlies. Auch als ihre 19-jährige Tochter im April 2008 lebensgefährlich erkrankte, und F. ihr Auftauchen inszenierte, um sie ins Krankenhaus bringen zu können, habe er seinem Opfer gedroht, alle umzubringen, wenn es gegenüber der Kriminalpolizei ein Wort über das Leben im Keller verlauten ließe.

Anwalt zu Geschworenen: "Sie sind nicht Rächer"

Ebenso eindringlich wie die Staatsanwältin hat Verteidiger Rudolf Mayer in seiner Replik an die Geschworenen appelliert, sich der Aufgabe der Wahrheitsfindung zu widmen. "Sie sind nicht Rächer, Sie müssen Emotionen weglassen, sonst werden Sie dem Fall nicht gerecht."

Der Anwalt widersprach der Aussage der Staatsanwältin, dass Josef F. keine Reue zeige: Sein Mandant habe der Gutachterin gegenüber betont, dass er 24 Jahre lang Schuldgefühle hatte. Fälle von jahrelang Eingesperrten, sexuell Missbrauchten und Inzest gebe es überall auf der Welt. Außergewöhnlich in diesem Fall sei, dass sich der Angeklagte eine Zweitfamilie aufgebaut hatte. Wäre nur die Triebbefriedigung das Ziel, "dann mach' ich keine Kinder, schaffe keine Schulbücher und Geschenke herbei", sagte Mayer. Als "Monster" hätte er alle umgebracht. Stattdessen sorgte er dafür, dass die im Verlies lebensgefährlich erkrankte 19-Jährige ins Spital kam - in der Gewissheit, dass sie wohl anschließend alles erzählen werde.

Ihm gehe es um den Vorwurf des Mordes, meinte Mayer, dass sein Mandant auch diese Kinder aufziehen wollte. Der Verteidiger erläuterte außerdem , dass die aufgrund des gerichtspsychiatrischen Gutachtens beantragte Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher bedeute, dass der 73-Jährige nach der Verbüßung seiner Freiheitsstrafe in eine geschlossenen Anstalt kommen werde. "Versuchen Sie dem Angeklagten trotzdem noch als Mensch zu begegnen und für das zu verurteilen, was er zweifelsfrei gemacht hat", schloss Mayer seinen Vortrag.

Josef F. erzählt von "sehr harter Kindheit"

Bevor aus Opferschutzgründen die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde, skizzierte Josef F. seine Lebensgeschichte. Er habe "eine sehr harte Kindheit" verbracht, legte er den Geschworenen dar. "Meine Mutter wollte mich nicht. Sie war ja schon 42. Sie wollte einfach kein Kind, und sie hat mich entsprechend behandelt. Ich bin geschlagen worden", erzählte der Angeklagte.

Mit zwölf habe er seiner Mutter dann deutlich gemacht, dass er sich nicht mehr länger misshandeln lasse und zur Wehr setzen werde. Er habe "überhaupt keine innige Beziehung" zur Mutter gehabt, die bis zu ihrem Tod im Jahr 1980 mit ihm unter einem Dach wohnte, bilanzierte Josef F. mit brüchiger Stimme. Er habe von ihr nie Zärtlichkeiten bekommen. Der Vater wiederum sei "nur sporadisch, selten" dagewesen.

Im Haus der Mutter richtete sich Josef F. eine eigene Wohnung ein, die er im späteren Verlauf ausbaute. 1974 nahm Josef F. in Amstetten einen größeren Umbau auf seiner Liegenschaft vor. Er wollte "zusätzliche Wohnungen, um einen Nebenerwerb zu haben". Außerdem errichtete er einen Keller: "Das war gedacht als Büro. Der andere Teil wäre für Sachbestandteile gewesen." Auf die Frage der vorsitzenden Richterin, was er damit meine, erwiderte der Angeklagte: "Maschinen."

In diesen Keller wurde Ende August 1984 laut Anklage die damals 18-jährige Tochter des Mannes verschleppt, indem er vorgab, sie möge ihm beim Transport eines Schrankes behilflich sein. Dabei soll der Vater dann das Mädchen betäubt und in den finsteren Raum verbracht haben. Bevor sich Josef F. dazu äußern konnte und somit die anklagegegenständlichen Fakten erörtert worden wären, wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Erst bei der Urteilsverkündung muss die Öffentlichkeit wieder zugelassen werden.

Urteil am Donnerstag möglich

Die Verhandlung wird am Dienstag den ganzen Tag nicht öffentlich fortgesetzt. Weitere Zeugen in dem Prozess seien nicht beantragt worden, Ehefrau und Kinder des Angeklagten hätten von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch gemacht.

Wann im Prozess die Gutachter zu Wort kommen werden - mitentscheidend dürfte vor allem die Expertise der psychiatrischen Sachverständigen Adelheid Kastner sein - , ist vorerst noch offen. Wie Cutka erklärte, werde sich das "im Verlauf der weiteren Verhandlung herausstellen". Neben Kastner sind auf Antrag der Staatsanwaltschaft Sachverständige für Neonatologie, Elektromechanik und Lüftungstechnik eingeholt werden. Möglicherweise wird es nicht nötig zu sein, die Geschworenen mit allen vier Gutachten zu befassen, deutete Cutka an: "Das hängt von der weiteren Verantwortung des Angeklagten ab."

Die Verhandlung ist auf fünf Tage anberaumt, könnte - je nach Verlauf und Verhalten des Angeklagten - bereits am Donnerstag zu Ende gehen. (APA/red)