"Guardian"-Journalist und Buchautor Nick Davies.

Foto: Davies

STANDARD: Ist die Finanzkrise ein Medienkonstrukt, ähnlich Millenium Bug oder Massenvernichtungswaffen im Irak?

Davies: So weit würde ich nicht gehen. Bei der Finanzkrise sind die Medien in die Falle getappt, weil sie an eine Legende glauben. Diese Legende entstand unter Thatcher und Reagan und sagt, freier Markt und Privatwirtschaft sind gut. Eine sehr simple und naive Legende. Einige wenige Journalisten sahen die Gefahr, aber ihre Geschichten wurden nie publiziert, weil sie der Legende nicht entsprachen. Ein Jahr bevor der US-Subprimemarkt kollabierte, warnte die New York Times davor. Niemand hat diese Geschichte übernommen. Ein Observer-Journalist wollte einen Artikel veröffentlichen, in dem er die Gefahren des Weltfinanzsystems beschreiben wollte. Der Redakteur lehnte ihn sehr grob ab, weil der Artikel zu kompliziert war.

STANDARD: Aber ist es nicht verkürzt, den Medien die Schuld zu geben? Die Falschmeldung, wonach der Amokläufer seine Tat im Internet ankündigte, streute zum Beispiel die Polizei.

Davies: Natürlich. Die PR-Industrie stellt ein Problem für sich dar. Wenn man mich morgen zum Premierminister in Großbritannien machen würde - ich glaube nicht, dass sie es tun werden, aber falls doch - würde ich mir genauso einen PR-Stab zulegen und versuchen, Medien zu manipulieren. Die PR-Industrie ist böse, aber sie wird angespornt durch die Medien. Manchmal ist die Falschheit aber auch beabsichtigt, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Es braucht starke Medien, um dem standzuhalten, andernfalls ist es sehr einfach zu manipulieren.

STANDARD: Wie konnte es so weit kommen? Alles wegen Rupert Murdoch?

Davies: Nicht nur. David Montgomery und unzählige andere Kapitalgesellschaften repräsentieren wie Murdoch das kommerzielle Gift, das seriösen Journalismus zerstört.

STANDARD: Sie werden Ihnen entgegnen: Der Erfolg gibt uns Recht?

Davies: Das glaube ich nicht. Wir befinden uns in einer Entwicklung mit drei Phasen: Zuerst waren die guten Jahre, als die großen Konzerne Nachrichtenorganisationen aufkauften und große Profite machten. Sie kommerzialisierten Inhalte, bauten Personal ab und verdienten viel Geld. Dann begann sich die Qualität der Nachrichtenproduktion zu verschlechtern, was zu Leserschwund führte. Der sich mit dem Internet, Phase zwei, beschleunigte. Außerdem verloren sie Inserate, auch ans Internet. Jetzt hatten die Konzerne Probleme. In Phase drei beschleunigt die Kreditkrise den Inseratenschwund. Diese Beteiligungsgesellschaften waren kommerziell erfolgreich, aber niemals journalistisch. In Großbritannien verlieren die übelsten Boulevardblätter massenhaft Leser. Der Daily Mirror hatte einmal vier Millionen, heute nur mehr 1,5 Millionen Leser.

STANDARD: Soll das heißen, das Problem der Gossenpresse löst sich irgendwann von selbst?

Davies: Die großen Gesellschaften werden aus dem Nachrichtengeschäft aussteigen. In Großbritannien trifft es gerade den Evening Standard, der einem russischen Oligarchen gehört. Jetzt will er ihn nicht mehr. Das Ende dieser als Kapitalgesellschaftsformen organisierten Massenmedien ist in den nächsten fünf bis zehn Jahren absehbar. Sie nehmen ihr Geld raus. Sag: Auf Wiedersehen zu ihnen.

STANDARD: Und danach?

Davies: Brauchen wir eine dritte Finanzierungsquelle. Der "Guardian" begann sich umzuschauen nach reichen Familien, die eigene Zeitungen besaßen und gründete eine Stiftung. Die Regierung müsste einen Fonds gründen, der es den vielen arbeitslosen Journalisten ermöglicht, neue Organisationen zu gründen. Wir bewegen uns auf etwas zu, das ich "Minimedien" nenne. Kleine Gruppen von Journalisten gründen eine Webseite und besetzen eine kleines Gebiet, geographisch zum Beispiel eine kleine Stadt oder thematisch die Nahrungsmittelindustrie. Wenn nicht, begeben wir uns in eine Zukunft des Informationschaos. Diese Minimedien könnten auf ihrem Gebiet die allerbesten Informationsquellen sein. So könnten wir die Konzerne beiseite lassen. Sie sind das Problem und können nicht Teil der Lösung sein.

STANDARD: Und wenn das auch nicht funktioniert?

Davies: Wenn das Minimedia-Modell nicht funktioniert, verlieren wir den Journalismus. Was haben wir dann? Eine inkohärente Blase. Manche sagen, es macht nichts, wenn Journalismus stirbt. Weil das Internet es mit Blogs usw. ersetzen wird. Das wäre, als sagee man, wir brauchen kein Gesundheitssystem mehr, die Menschen heilen sich selbst. Wir brauchen Menschen, die Fertigkeiten haben, Zeit und die Ressourcen, um Informationen aufzugreifen und zu vermitteln.

STANDARD: Was haben Qualitätsmedien zu erwarten?

Davies: Qualitätsmedien verlieren Geld, aber nicht unbedingt Leser. Nehmen wir den Guardian. Wir drucken 350.000 Auflage, das stagniert. Unsere Leserzahl im Internet steigt aber dramatisch, wir zählen 30 Millionen Unique User.

STANDARD:  Das heißt, alles verlagert sich auf das Internet. Auch das Zeitunglesen. Was ist mit dem haptischen Erleben?

Davies: Der Grund, warum wir aufhören werden, Zeitung zu lesen, hat nur teilweise mit Kosten zu tun. Wir sind in der Technologie nur einen Schritt entfernt: Es braucht einen leichten, tragbaren Bildschirm, den man leicht in die Tasche einstecken kann. Amazon produziert dieses Ding schon als e-book. Aber es müsste noch leichter sein, um darin Zeitungen zu lesen. Es wird nicht mehr lange dauern.

STANDARD: Was raten Sie einem Berufseinsteiger?

Davies: Immer herein. Wenn du jemanden findest, der dich bezahlt, ist es ein fantastisch guter Job. Du wirst bezahlt, um interessante Themen zu finden, interessante Plätze aufzusuchen und kannst manchmal Menschen attackieren, die wirklich Böses getan haben, was sehr, sehr befriedigend sein kann. Ein Zeichen der Hoffnung ist auch, dass Journalismus intelligente, energetische und idealistische junge Menschen anzieht. Wir brauchen sie. Ihre Gegenwart ist ein Teil davon, der uns beim Überleben hilft. (Doris Priesching, DER STANDARD; Printausgabe, 17.3.2009/Langfassung)