"Ich glaube nicht, dass die Menschen in Österreich schlechter sind als woanders. Sie haben ein schlechtes Einwanderungsgesetz. Aber die Österreicher selbst sind nicht herzlos." Den beiden jungen Männern aus Mazedonien ist diese Erkenntnis keine große Hilfe. Denn ohne EU-Pass bleibt Marko und Atanas die erträumte Zukunft in Wien verwehrt. Ihr Kapital besteht aus ihrer Jugend und ein paar tausend Euro für eine Frau, die bereit ist, für diese Summe zu heiraten: eine Österreicherin mit Herz.
"Cash & Marry" von Atanas Georgiev ist ein kleiner, schneller Film, der das Tempo seiner Akteure spürbar macht: Rastlos begleitet die Handkamera die beiden Männer bei ihrer Frauensuche. Dem illegalen Unterfangen entsprechend agiert die Kamera mitunter wie eine verdeckte Ermittlerin oder fängt Gesprächsfetzen auf. Dass "Cash & Marry" zeitweilig an ein Buddy-Movie erinnert, liegt nicht nur am jovialen Auftreten der selbsternannten "Don Juans vom Balkan" , sondern auch an der Unbedarftheit der Brautschau. Erst als sich tatsächlich eine Studentin findet, die für eine Hochzeit ein Zerwürfnis mit ihren Eltern riskiert, wird die Lage ernst und werden mögliche Konsequenzen sichtbar.
Dass sich wie "Cash & Marry" gleich mehrere Dokumentationen im Rahmen des Festivals den Lebensrealitäten von Migranten widmen, verwundert nicht weiter: In den vergangenen Jahren hat sich beinahe so etwas wie eine diesbezügliche Tradition entwickelt, zuletzt etwa mit Kenan Kiliç' Beobachtung türkischer Arbeitsmigranten in "Gurbet - In der Fremde" oder Ülkü Akbabas "Grenzgängerinnen", der sieben Wienerinnen mit Migrationshintergrund begleitete. So scheint es nur konsequent, dass Produktionen wie "Cash & Marry" einen Schritt weiter - oder für die Betroffenen eben zurück - machen, um sich jenen zu widmen, deren täglicher Kampf bereits vor der Aufenthaltsgenehmigung beginnt.
Besonders eindrucksvoll gelingt dies Nina Kusturica, die ihren neuen Film Little Alien an der EU-Außengrenze, zwischen der Slowakei und der Ukraine, beginnen lässt: Während zunächst noch zwei im Wald stehende, steinerne Grenzsteine als absurdes Sinnbild einer willkürlichen Trennung fungieren, wird gleich darauf eine Gruppe Flüchtlinge erbarmungslos von der Infrarotkamera der slowakischen Wachbeamten erfasst: Als schwarze Punkte tasten sich die Menschen über den Monitor, geradeso, als seien sie für eine technische Leistungsschau an diesen Ort bestellt worden.
In der Warteschleife
"Little Alien" begleitet mehrere jugendliche Flüchtlinge, die in Traiskirchen, in Wiener Asylheimen und der bürokratischen Warteschleife festhängen. Im Zentrum des Films stehen zwei Mädchen aus Somalia und zwei Burschen aus Afghanistan, die auf entsprechende Bescheide und Berechtigungen warten müssen. Ohne die persönlichen Leidenswege zu rekonstruieren, gelingt es Kusturica, traumatische Erlebnisse schlaglichtartig vor Augen zu führen: eine Schusswunde, die noch immer Kopfschmerzen verursacht, die Überfahrt nach Lampedusa, die zahllosen Schläge und Misshandlungen von Polizei und Militär.
Kusturica stellt die entscheidenden Behörden wie das Bundesasylamt jedoch nicht den Jugendlichen als anonyme Instanzen gegenüber, sondern lässt präzise den institutionellen Ablauf und die damit einhergehende Eigendynamik anschaulich werden: Auch die helfenden Betreuer, Vereine und Übersetzer sind Teil desselben Systems. "Wenn ich in Afghanistan geblieben wäre, hätten sie mich erschossen, und ich hätte meine Ruhe" , meint einer der Jugendlichen. "Sag das denen hier, und sie erschießen dich auch" , lautet die lapidare Antwort des anderen. Die Grenzen, so ließe sich das Credo dieses Films zusammenfassen, lassen sich längst nicht mehr mit einem osteuropäischen Markstein kennzeichnen - sie verlaufen direkt durch die österreichische Gesellschaft.
Während sich bei Kusturica die Biografien nur indirekt, über die Auseinandersetzungen mit Behörden und dem Ausfüllen von Formularen herausbilden, rekonstruiert Michael Schindegger in "Dacia Express" buchstäbliche Lebenswege: Die Zugverbindung zwischen Wien und Bukarest, einst Teil des legendären Orient-Express, wird hier zum Ort der Begegnung zwischen einer Handvoll Protagonisten. Schindegger konzentriert sich dabei ganz auf die Gespräche und Erzählungen der Reisenden, die als moderne Nomaden einer Arbeit oder wenigstens der Hoffnung auf eine solche hinterherfahren - oder enttäuscht wieder die Rückreise in die alte Heimat antreten. Was Dacia Express auszeichnet, ist das Prinzip von Stillstand und Bewegung: Während sich oben in den Abteilen Lebensgeschichten herausbilden, drehen sich unten die Räder im Kreis. (Michael Pekler, SPEZIAL, DER STANDARD/Printausgabe, 17.03.2009)