Bert Rebhandl sprach mit ihm.
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Standard: In "Defamation" gibt es eine aufschlussreiche Szene: Eine Schulklasse aus Israel posiert in Polen unter einem Schild mit der Aufschrift "Arbeit macht frei" für ein Foto. Wo andere Touristen "cheese" sagen, sagen die Kinder "Auschwitz" und lachen so in die Kamera. Das war nicht gestellt, oder?
Shamir: Nein, das haben wir so gesehen. Ich habe nur diese eine Klasse begleitet, die eine Woche zu den Stätten des Holocausts gefahren ist. Die Szene schien mir treffend, denn hier kam vieles zusammen, was für den Staat Israel und die Identität seiner Bürger wesentlich ist.
Standard: Viele Juden in Israel und in aller Welt sehen ein Anwachsen des Antisemitismus und gründen ein Ethos der Verteidigungsbereitschaft darauf. Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?
Shamir: Ich habe einen Film namens Checkpoint gemacht. Ein jüdischer Journalist hat mich damals als "israelischen Mel Gibson" bezeichnet. Er bezog sich auf The Passion of the Christ, der vielfach als antisemitisch eingeschätzt wurde. Das fand ich interessant. Wie kann ich, jüdischer Staatsbürger Israels, der bei der Armee gedient hat und Steuern zahlt, ein Antisemit sein?
Standard: Mir war nicht bewusst, wie sehr es in Israel eine Pädagogik der Shoah gibt: Der Tod der sechs Millionen wird allen jungen Menschen richtig eingetrichtert.
Shamir: Denken Sie an die Soldaten, die gerade in Gaza gedient haben. Die waren vor ein paar Jahren in Auschwitz auf Klassenfahrt. Wenn die jetzt einen Palästinenser einen Stein aufheben sehen, denken sie tatsächlich auch an Hitler. Diese Erziehung ist sehr effektiv.
Standard: Die Schüler, die Sie nach Polen begleiten, empfinden anfangs keine Trauer und entwickeln deswegen Schuldgefühle. Am Ende der Woche kommen die Tränen.
Shamir: Das ist genau so aufgebaut. Nach dem ersten, zweiten Tag passiert noch nichts, aber nach einer Woche mit Massengräbern, Konzentrationslagern und Gedenkstätten wirkt das Programm. Das hat schon etwas von Gehirnwäsche.
Standard: Aber selbst Ihre jüdische Großmutter ist nicht frei von antisemitischen Klischees, wie Sie zeigen.
Shamir: Ich wollte damit klarmachen, dass das ein sehr persönlicher Film ist. Meine Großmutter repräsentiert aber auch eine Generation. Die ersten Überlebenden des Holocaust wurden von den wahren Zionisten gar nicht gut behandelt - man warf ihnen vor, dass sie "wie Schafe zur Schlachtung" gegangen wären. Das junge Israel wollte von sich ein ganz anderes Bild haben.
Standard: Wie fühlen Sie sich nach dem jüngsten Vorgehen Israels in Gaza?
Shamir: Schrecklich. Natürlich sollten Menschen in Israel friedlich leben dürfen, ohne von Raketen bedroht zu werden. Das ist klar. Aber Gaza war eine unverhältnismäßige Reaktion. Ich würde es nicht einmal einen Krieg nennen, denn es gibt keine wirkliche Möglichkeit, sich zu verteidigen. Unser Volk hat nach dem Auszug aus Ägypten vierzig Jahre gebraucht, um die Sklaverei aus den Köpfen zu bekommen. Die Palästinenser werden auch lange brauchen, um sich von der Besatzung zu erholen.
(SPEZIAL - DER STANDARD/Printausgabe, 17.03.2009)