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Es gibt nur noch einige hundert Geishas in Japan. Die Gesellschafts-damen unterhalten mit Tanz und gesitteter Konversation in einem Land, das moderner nicht sein könnte.

Foto: Reuters/Caronna

Tokio/Wien - Das "T-Wort" bringt den Wirt in echte Rage. Beleidigt klemmt der spindeldürre Mann seine Sake-Flaschen unter den Arm, die Zigarette im Mundwinkel glüht warnend auf. Was wollen die Gaijin? Meinen Sake kosten? Als ob es der letzte Fusel wäre? Kehrtwende. Abgang. Wiederschauen.

Die im Umgang mit Gastwirten grundsätzlich gebotene Vorsicht scheint in Japan besonders angebracht. Nur dem Geschick mitreisender Diplomaten hatte es das Fähnlein wackerer Österreicher zu verdanken, dass es an diesem Abend nicht hochkant aus dem abgewetzten Etablissement hinaus auf Kiotos Vergnügungsmeile flog. Sie vermochten dem strengen Schankmann beherzt zu verdeutlichen, dass das Wort "Test" nicht generell Zweifel an seiner Ehre und im Speziellen an der Qualität seines Reisschnapses bedeutete.

Den auch nicht eben auf dem Mineralwasser dahergeschwommenen Ausländern, "Gaijin", gelang es im Laufe eines doch längeren Abends zwar noch, den Wirten sogar zu so etwas wie einem milden Lächeln zu bewegen. Aber fremd blieb man einander auch noch nach dem Begleichen einer stattlichen Rechnung: Lost in Translation, zwischen den Welten - so begegnen einander Japaner und Westler seit der gewaltsamen Öffnung des Kaiserreiches durch vier US-amerikanische Fregatten in den Jahren 1853/54.

Scham- gegen Schuldkultur
Das Staunen über die anderen Sitten beginnt für Japanreisende meistens schon frühmorgens. Pünktlichkeit ist gnadenloser Tugendterror in Nippon. Die Japaner überlassen nichts dem Zufall, schon gar nicht den Lauf der Zeit. Es gibt einen Plan. Und der ist auf das pünktlichste einzuhalten - nicht so sehr, weil es an Flexibilität mangelte, viel mehr weil es als außerordentlich unhöflich gilt, jemand anderen in eine peinliche Situation zu bringen.

Sich zu schämen, an öffentlicher Wertschätzung einzubüßen, ist das Schlimmste, was Japanern passieren kann. In der christlich geprägten Schuldkultur - zumindest in ihrer katholischen Ausprägung - lässt sich jede noch so große Schweinerei diskret beichten und der Sünder ist aus dem Schneider. In der Schamkultur Japans muss jeder öffentlich für sein Versagen gerade stehen. Als Sühne für die Schande und zur Wiederherstellung der verletzten Ehre ist Harakiri, oder Sepukku, wie das Ritual der Selbsttötung in feineren Worten heißt, schon seit gut 100 Jahren verboten. Dafür kommt es heute schon einmal vor, dass sich Bankvorstände in Tränen aufgelöst vor laufenden Kameras für Fehlinvestments und Verlustzahlen entschuldigen.

Wer also einen Wirt um einen aus Gaijin-Sicht läppischen "Test" bittet oder von den Japanern verlangt, sie mögen doch ihre schändlichen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg einbekennen, muss gewärtigen, was ein solcher Gesichtsverlust für sie bedeuten würde.

Japanische Werte
Disziplin, Pünktlichkeit und Zurückhaltung also sind japanische Werte. Die soziale Kontrolle ist hoch in Nippon, der Uniformitäts- und der Leistungsdruck detto. Die Fließband- und Bürosamurai erfüllen in einer vom mächtigen Handels- und Industrieministerium MITI durchgeplanten Ökonomie eisern ihre Pflicht - und vergessen darüber beinahe aufs Leben.

Daraus ergibt sich das größte Problem für Japan: Das Land altert so schnell wie kein anderes. Der Anteil der über 65-Jährigen liegt bei mehr als 21 Prozent (in Österreich sind es 16 Prozent). Das Bevölkerungswachstum ist negativ, jede Frau bekommt im Schnitt nur noch 1,23 Kinder. Das Problem ist selbst für Wirtschaftsbosse schon so virulent - wer soll denn in einer so überalterten Gesellschaft noch konsumieren? -, dass sie ihre Mitarbeiter zu sogenannten "Sayonara-Überstunden" auffordern. Übersetzt heißt das, dass sie gefälligst nach Hause gehen sollen, um sich um ihre Fortpflanzung zu kümmern - "ich erwarte diesbezüglich ihre Kooperation", ordnete etwa der Vorstandschef von Nippon Oil, Shinji Nishio, auf einer Belegschaftsversammlung an.

Bis die Sayonara-Überstunden allerdings Früchte tragen, wird an technischen Behelfen gearbeitet. Erst unlängst erfanden japanische Ingenieure einen Roboteranzug, der die müden Knochen alternder Bauern bei der Feldarbeit unterstützen soll. Und Honda, dessen Roboterdivision am Androiden Asimo forscht, rechnet mit einer Verwendung seines Roboters für Hausarbeiten und dergleichen. Takao Aoki, ein Honda-Sprecher, ist sogar der Ansicht, dass "unser Unternehmen in 50 Jahren mit Robotern in einer alternden Gesellschaft mehr verdienen kann als mit dem Autobau".

Japan ein Zukunftsmodell? In den 1980-er Jahren hätten viele im Westen noch emphatisch zugestimmt. Heute ist die Sicht der Dinge etwas differenzierter, obwohl viele Indikatoren - wie Überalterung und gesättigte Märkte in Industriestaaten - geradezu dafür sprächen. In der letzten Szene von Sofia Coppolas "Lost in Translation" umarmen die Protagonisten einander mitten in Tokio. So gesehen lernen immerhin die Westler in der Fremde ihre eigene Welt besser kennen.( Christoph Prantner; DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.03.2009)