Wien - "Um die Menschheit vor der Gefahr radioaktiver Verstrahlung zu schützen, ist eine Kontrolle radioaktiver Strahlungsquellen "von der Wiege bis zum Grab" unerlässlich."

Mohammed El Baradei, der Direktor der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO), führte in seiner Eröffnungsrede einen Terminus ("Cradle-to-Grave-Control") ein, den fast jeder weitere Eröffnungsredner nach ihm aufnehmen sollte: Sechshundert Experten aus mehr als 110 Ländern diskutieren von Dienstag bis Donnerstag in der Wiener Hofburg über die Möglichkeiten zur Verbesserung des Schutzes radioaktiver Substanzen. Tatsächlich konzentrierte sich die Aufmerksamkeit von Beginn an auf die Gefahr durch so genannte "schmutzige Bomben", die Terroristen unter Verwendung radioaktiver Stoffe herstellen könnten.

Atmosphäre der Kriegsgefahr

El Baradei, der derzeit im Zusammenhang mit den Inspektionen im Irak im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit steht, erwähnte "wie auch Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (V) als Gastgeberin und die beiden Ko-Sponsoren, US-Energieminister Spencer Abraham und der russische Minister für Atomenergie, Alexander Rumjanzew - weder den Irak-Konflikt noch die Krise zwischen den USA und Nordkorea auch nur mit einer Silbe. Lediglich Ferrero-Waldner hob gemeinsam mit jener der IAEO speziell die Rolle des derzeitigen Konflikt-Hauptschauplatzes UNO-Sicherheitsrat bei der Friedenssicherung hervor.

Nichtsdestotrotz prägte die gegenwärtige Kriegsgefahr die Atmosphäre der Konferenz, die nicht nur durch die zahlreichen Delegierten, sondern vor allem durch das große internationale Medienaufgebot nahezu aus allen Nähten platzte.

"Grenzen schützen"

Der US-Energieminister, der die nunmehrige Konferenz nur wenige Tage nach den Terrorattacken auf das World Trade Center initiiert hatte, definierte auch ihre Zielvorgaben: "Wir müssen handeln, einzeln und gemeinsam, um radioaktive Quellen zu lokalisieren, wo sie auch immer eingesetzt werden, wir müssen ihre permanente Sicherheit und Kontrolle gewährleisten und unsere Grenzen besser gegen illegale Transporte radioaktiver Substanzen schützen."

Radioaktive Quellen seien weltweit in vielen Bereichen der Medizin, Wissenschaft oder Landwirtschaft im Einsatz tätig, meinte Abraham, aber sie werden mangelhaft kontrolliert und geschützt " wenn überhaupt." Daraus ergebe sich die Gefahr, dass sich Terroristen ihrer bemächtigen könnten.

Suche nach "verwaisten" Strahlungsquellen

Nicht nur die laut Mohammed El Baradei weltweit über 20.000 in Industrie oder Medizin eingesetzten radioaktiven Strahlungsquellen stellen, da oft nicht ausreichend kontrolliert und geschützt, für den IAEO-Generaldirektor ein globales Sicherheitsrisiko dar. Vor allem die Lokalisierung und Kontrolle so genannter "verwaister Quellen" (orphaned sources) stellten die größte Herausforderung dar.

US-Energieminister Spencer Abraham kündigte in diesem Zusammenhang die Ausweitung einer bisherigen trilateralen Zusammenarbeit zwischen der IAEO, den USA und Russland auf weitere Staaten, vorwiegend Entwicklungsländer, an: Die USA wollen im nächsten Jahr drei Millionen Dollar in die Suche, Sicherung und Kontrolle solcher derzeit unbekannten radioaktiven Quellen investieren.

Ineffektive Kontrolle, Geldmangel, schlechte Ausbildung

Das Problem der "verwaisten" und somit gegenwärtig unkontrollierten radioaktiven Strahlungsquellen ist hauptsächlich im Zusammenhang mit nationalen Umwälzungen wie dem Zerfall der Sowjetunion entstanden, wenn Regierungswechsel oder Umstürze die nationale Kontrolle über die jeweiligen Nuklearbestände schwächten oder überhaupt eliminierten. Aber auch ineffektive Kontrolle, Geldmangel, schlechte Ausbildung oder mangelhafte Transportsicherung hätten zum Verlust radioaktiver Substanzen geführt, meinte El Baradei.

Im Zusammenhang mit den Terroranschlägen vom 9.September 2001 sei die Frage möglichen Nuklearterrorismus schließlich "in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit katapultiert worden": die Möglichkeit, Bomben zu bauen, die zwar nicht die Zerstörungskraft einer Atombombe entwickeln, aber durch die hervorgerufene Panik in der Bevölkerung genau das Ziel einer terroristischen Attacke erreichen würden.

Sicherheitskodex

El Baradei verwies auf die Maßnahmen, die die IAEO auf diesem Gebiet bereits getroffen bzw. unterstützt hat - die Entwicklung eines Sicherheitskodex für radioaktive Quellen, die Erstellung einer internationalen Datenbank über Strahlung freisetzende Aktivitäten -, die wichtigste Tätigkeit liege aber darin, einzelne Staaten mit der Expertise der IAEO in ihren jeweiligen Bemühungen zu untestützen, die Kontrolle und Sicherung ihrer Nuklearbestände zu gewährleisten.

Initiativen von USA und Russland

Der IAEO-Generaldirektor verwies in diesem Zusammenhang auch auf eine gemeinsame Initiative mit den USA und Russland, im Rahmen derer es bereits gelungen sei, auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion - in Moldawien und Tadschikistan - zwei radioaktive Strahlungsquellen zu finden und zu sichern. Abraham kündigte in diesem Zusammenhang an, die USA würden dieses Projekt ab sofort - vorrangig auf Entwicklungsländer - ausweiten.

Abraham und der russische Minister für Atomenergie, Alexander Rumjanzew, wollten im Lauf des Dienstags in Wien auch ein Abkommen über Finanzhilfe der USA bei der Stilllegung von drei russischen Atommeilern in den Städten Sewersk und Krasnogorsk signieren. Diese Kraftwerke produzieren zurzeit waffenfähiges Plutonium. Vor seinem Abflug nach Wien hatte Rumjanzew in einem ITAR-TASS-Interview erklärt, dass Russland Waffenplutonium in großen Mengen nicht mehr benötige, "weil der 'kalte Krieg' vorbei ist". (APA)