Wien - Die Anfänge der Dienstleistungs-Liberalisierung in der WTO liegen zwischen 1986 und 1994. Im Rahmen der damaligen Uruguay-Runde (GATT), wurde erstmals nicht nur über freie Warenströme, sondern auch über einen Abbau der Hürden für den zunehmend wichtigeren Dienstleistungssektor verhandelt. Bei der WTO-Konferenz in Doha im Herbst 2001 einigten sich die Minister darauf, den Bereich, auf den etwa ein Fünftel des gesamten Welthandels entfällt, noch weiter zu liberalisieren. Treibende Kraft dabei ist die EU als größter Dienstleistungsexporteur der Welt.

Das 1995 in Kraft getretene GATS (General Agreement on Trade in Services) konzentrierte sich in erster Linie auf unternehmensnahe, sowie Umwelt-, Bildungs- und Finanzdienstleitungen. Seit 1997 sind auch - heute kaum mehr wegzudenken - die Telekommunikationsdienste darin geregelt.

Handelsminister und Wirtschaftsexperten erwarten sich von dem erweiterten Abkommen, das laut Zeitplan 2005 in Kraft treten soll, einen wahren Liberalisierungs- und Wachstumsschub für die Weltwirtschaft. In der EU erwirtschaftet der Dienstleistungssektor bereits rund zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukt (BIP). Globalisierungskritiker befürchten dagegen durch die Marktöffnung Verteuerungen und Verschlechterungen besonders bei öffentlichen Dienstleistungen (Wasserversorgung, Nahverkehr, Bildung etc.), sowie eine schleichende Unterwanderung der Sozialstandards am Arbeitsmarkt - also gleichsam das Ende des Europäischen Modells.

"Dienstleistungen funktionieren anders als Warenströme", gibt Werner Raza, GATS-Experte und -Kritiker in der Arbeiterkammer (AK) zu bedenken. Dienstleistungen führten immer auch zu Menschen- und Mitarbeiterbewegung und dürften nicht dem reinen Dogma des freien Handels unterworfen werden. Liberalisierung kann Vorteile bringen, muss aber von einem entsprechenden regulatorischen Rahmen begleitet werden um den gemeinwirtschaftlichen Aspekt der Leistbarkeit zu sichern, betont Raza.

Josef Mayer, zuständiger Sektionschef im Wirtschaftsministerium versteht die Proteste in erster Linie als Angst vor einem Rückzug des Staates aus immer mehr Bereichen: "Das hat weniger mit GATS zu tun, als mit einem generellen Trend", sagt er im Gespräch mit der APA. Alle aktuellen Probleme, ob mit Privatisierungen auf nationaler Ebene, mit Liberalisierungen auf EU- oder internationaler Ebene würden derzeit auf das Konto von GATS gebucht.

Der Inhalt des GATS ist auch tatsächlich ziemlich umfassend: Konkret geht es um 12 Dienstleistungssektoren, in denen die 145 WTO Länder Angebote machen oder Forderungen stellen können oder - wie dies Österreich und andere Länder auch in vielen Fällen getan haben und tun - Ausnahmen festschreiben können:

1. Unternehmensbezogene Dienstleistungen (Fachspezifische Dienst- leister wie Rechts-, Steuerberater, Zahnärzte, Architekten, Pharmazeuten) Computer, Forschung, Immobilien, Mieten/Leasing),

2. Kommunikations-Dienstleistungen (Post-Kurierdienste, Telekommunikation),

3. Bau- und Ingenieurdienstleistungen,

4. Vertriebsdienstleistungen (Handelsagenten, Großhandel, Einzelhandel, Franchising), 5. Bildungsdienstleistungen (Primärer, sekundärer Sektor, Höhere Ausbildung, Erwachsenenbildung),

6. Umweltdienstleistungen (Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Abfallwirtschaft, Luftreinhaltung, Bodenreinhaltung, Lärmschutz, Landschaftsschutz),

7. Finanzdienstleistungen (Versicherungen, Banken, Andere),

8. Gesundheits- und Sozialdienstleistungen (Krankenhäuser, andere),

9. Tourismus Dienstleistungen (Hotels, Restaurants, Catering, Reisebüros, Tourguides),

10. Freizeit- und Kulturdienstleistungen (Theater, Konzerte, Zirkus, Nachrichtenagenturen, Bibliotheken, Archive, Sport, Wetten),

11. Verkehrsdienstleistungen (Seeverkehr, Luftverkehr, Flughafen- management, Bahnverkehr, Straßenverkehr),

12. Andere Dienstleistungen (z. B. Friseure, Kosmetiker)

Kritiker verlangen Verhandlungsstopp

Was bei den Verhandlungen über GATS am Ende herauskommt, ist heute noch nicht absehbar. Laut Zeitplan mussten die 144 Mitgliedsstaaten bis Ende Juni 2002 konkretisieren, in welchen Bereichen sie von anderen Ländern Liberalisierungen fordern; bis Ende März 2003 wiederum sollen die Listen mit den Angeboten für Marktöffnungen in Genf vorgelegt werden. Auch bei der nächsten WTO-Konferenz in Cancun (Mexiko) im September 2003 wird GATS ein Thema sein. Bis Ende 2004 soll alles unter Dach und Fach sein.

Die EU, die für ihre 15 Mitgliedsländer gemeinsam verhandelt (und sich auch mit den 10 Beitrittsländern abzustimmen versucht), will vor allem Deregulierung für Finanzdienste, Telekomfirmen, Energieversorger sowie die Tourismus- und Baubranche. Die USA verlangen etwa Liberalisierungen im Bildungsbereich, die Entwicklungsländer wiederum fordern von den reichen Industrienationen eine Öffnung ihrer Arbeitsmärkte nicht nur für so genannte Schlüsselkräfte.

Seit zwei Wochen ist nun der Entwurf der EU-"Angebote", den die Kommission zur Abstimmung der gemeinsamen Position in die 15 Mitgliedsstaaten verschickt hat, öffentlich in Umlauf. Das sperrige Werk macht deutlich, dass die EU - entgegen früheren Befürchtungen der GATS-Gegner - tatsächlich in Wasserversorgung, Gesundheit, Bildung und audiovisuelle Medien keine "Angebot" für eine weitere Liberalisierung machen will und dass öffentliche Dienstleistungen ausgenommen bleiben sollen.

Den mittlerweile in der "Stopp-GATS"-Bewegung zusammengeschlossenen Gegnern - von Gewerkschaft bis Hochschülerschaft, Armutskonferenz bis hin zu den Globalisierungskritikern von ATTAC - ist das aber zu wenig: Sie vermuten weiter, dass es bei den Verhandlungen "keine Tabus" geben wird. Das werde auch durch eine Aussage von Handelskommissar Pascal Lamy bestätigt, laut der die EU-Mitgliedsländer bereits sein müssen "über alle Sektoren zu verhandeln um eine 'big deal' zu erzielen". Noch dazu verlange die EU ihrerseits von manchen Entwicklungsländern Liberalisierungen bei öffentlichen Dienstleistungen wie der Wasserversorgung, bemängeln die GATS-Gegner, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird.

Sie verlangen - wie der Name schon sagte - einen Stopp der Verhandlungen und eine Evaluierung der bisherigen Entwicklung - sowohl weltweit als auch auf EU-Ebene. "Wir brauchen GATS nicht, es ist der falsche Ansatz", so STOPP-GATS-Sprecherin Cornelia Staritz. (APA)