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ROBERT JAEGER/APA

Das neue Logo zeigt die Fluchtlinien der altehrwürdigen Bühnenschachtel:


Wien - Die merkwürdigste Idee scheint glücklich vom Tisch: Hans Gratzer wird in seiner ersten Saison als neuer Josefstadt-Theaterdirektor offenbar doch kein Einheitsbühnenbild zimmern lassen - wie er in den Räumlichkeiten der neuen Probebühne in der Wiener Arbeitergasse ausführte. Sondern er beschäftigt mit Lichtbildner Philippe Arlaud, der mit Bäuerles Biedermeier-Singspiel Aline oder Wien in einem anderen Weltteil am 11. September 2003 den Auftakt macht, sogar einen ausgesprochenen Bildkünstler.

In rascher Folge, als wolle er eine unwiderstehliche Sogwirkung entfalten, reiht Gratzer Premiere an Premiere. Noch im September inszeniert der Prinzipal Nestroys Mann, Frau, Kind. Christian Pade verhilft mit Grillparzers verzwicktem Der Traum ein Leben dem Haus im Oktober zur Fortsetzung eines so traumseligen wie lokalpatriotischen Spielplans. Gratzer steuert Raimunds Der Alpenkönig und der Menschenfeind bei.

David Mouchtar-Samorai sorgt mit Schnitzlers Grünem Kakadu für Revolutionswirren. Der Chéreau-Assistent Claude Stratz zeigt Hofmannsthals Bürger als Edelmann. Und Hans-Ulrich Becker besorgt zum Saisonausklang die Uraufführung von Automatenbüfett der in Vergessenheit geratenen Emigrantin Anna Gmeyner (1902-1991).
Gratzer will auf heimische Art "Hoffnung" und Frohsinn verbreiten. Er will Theaterbesucher ausdrücklich davor bewahren, in verdüsterter Stimmung den Freitod unter dem J-Wagen zu suchen. Er lässt zu diesem Behuf den unter Max Reinhardt zugemauerten Orchestergraben abdecken. Das Ensemble, 70 zur Hälfte "feste" Schauspieler, erfährt sinnvolle Ergänzungen durch Wolfgang Hübsch, Gerd Wameling, Gertrud Roll oder Sona McDonald.
Von Helmuth Lohner, dem "zu Recht Gekränkten" (Gratzer), erhält er ein entschuldetes Haus. Dafür scheint die Frage der baulichen Sanierung nicht restlos geklärt. Gratzer zeigt hierfür alles Verständnis eines sanften, gar nie anecken wollenden Reformers. Das Josefstadt-Theater sei das älteste Haus - zugleich aber auch ein von segensreichen Geistern belebtes.
Und so bleibt es vorderhand Chefdramaturg Knut Boeser überlassen, die Kanten programmatisch nachzuschleifen. Der Spielplan, der in den behutsam zur Koproduktionsstätte umgewidmeten Kammerspielen sogar eine Klaus-Pohl-Uraufführung vorsieht, trage der josephinischen Aufklärung Rechnung.

Mit Nestroy und Raimund schnurstracks heraus aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit des Biedermeiermenschen? "Die Avantgarde", so Boeser, "erlaubt doch nur mehr eine tautologische Annäherung an die Welt!" Weswegen er sich mit der Absicht trage, den Spielbetrieb sogar in das Museumsquartier hinauszutragen. Etwa mit einem neuen, "vollkommen verrückten" Text von Rolf Hochhuth - Zukunftsmusik. (Ronald Pohl/DER STANDARD, Printausgabe, 12.03.2003)