Dass man(n) in Sachen Frauenhass und seinen tragischen Folgen Alice Schwarzer recht geben muss, wird wohl niemand Ernst-zu-Nehmender bestreiten. Bei der Suche nach Gründen für diese Phänomene aber scheiden sich die Geister. Natürlich wäre es verkürzt, ein Drama wie das in Willenden erklären zu wollen, indem man auf die Jungen als "Bildungsverlierer" verweist, die von klein auf nur von Frauen erzogen würden und deshalb gehässige Emotionen gegen Frauen und Mädchen entwickelten.

Aber auch Frau Schwarzer verkürzt, und nicht nur das: Sie setzt auch auf "Belege", die einer "Galionsfigur der deutschen Frauenbewegung" eigentlich unwürdig sind - wie die des "Münchner Neuropsychologen Prof. Henner Ertel". Unter Berufung auf dessen fragwürdige Studien wird die Pornografie (wieder einmal) als eine zentrale Gewalt-Ursache bemüht, obwohl dazu nach wie vor keine annähernd eindeutigen Forschungsergebnisse vorliegen und zahlreiche Experten der Pornografie eher eine Kompensationsfunktion für frustrierte männliche Sexualität zuweisen. Der in Deutschland mehr als umstrittene "Professor Dr. Ertel" wird in der Zeit und anderen seriösen Medien seit Monaten als "falscher Professor mit nichtexistierendem Institut" dargestellt, der mittlerweile auch "wegen Missbrauchs akademischer Titel angezeigt wurde". Die University of Neuroscience in London, deren Rektor Ertel gar sein will, "existiert offenbar nur auf dem Papier" (Zeit online, 11. 8. '08), und eine Recherche von Spiegel online ergab, "dass unter der genannten Adresse keine Universität, ja nicht einmal ein Büro existiert" (Spiegel online, 10. 9. '08). Mit Studien wie "Berliner haben den kürzesten Sex", "Hamburg hat die Längsten" oder dem "Nachweis", dass zwei Drittel der CDU/CSU-Wähler Frauen mit großer Oberweite bevorzugten, während Grüne eher kleine Busen mögen, und anderen "Erkenntnissen" bediente der Herr Professor jahrelang die Journaille.

Diskreditierung

Eine Berufung auf derart unseriöse Quellen diskreditiert das Anliegen, wirkliche Ursachenforschung gegen Männergewalt zu betreiben, fast schon von vornherein. Und auch die Bedeutung von Vorbildern für Jungen zum Abarbeiten ihrer männlichen Identitätsprobleme in Zweifel zu ziehen erscheint mehr als fragwürdig: Der Täter von Winnenden, weiß Schwarzer, habe durchaus solch ein Vorbild gehabt - nämlich einen "Waffennarren" von Vater mit 15 Schusswaffen zu Hause! Soll das ein Witz sein? Die Erfahrungen aus der psychotherapeutischen Berufspraxis (die ja bekanntlich bis zu 80% von Frauen ausgeübt wird) belegen eindeutig, dass es männlichen Heranwachsenden in hohem Ausmaß an männlichen Bezugspersonen mangelt. Und es ist weithin unumstritten, dass die unerfüllten Sehnsüchte nach männlichen Vorbildern bei Burschen häufig durch fragwürdige mediale Idole, oft genug gewalttätiger Art, gestillt werden.

Insgesamt definiert Schwarzer "Männlichkeit" als eine Art "Zeitbombe" und setzt ihr die Förderung von "Menschlichkeit" entgegen. Was nicht nur hinter jegliche Gender-Auffassung zurückfällt, sondern auch unterstellt, dass "Männlichkeit" per se unmenschlich und somit gefährlich sei. Statt zu analysieren, dass "Mitleidensfähigkeit und Menschlichkeit" Eigenschaften sind, die von einem räuberischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem beiden (!) Geschlechtern ausgebläut werden, redet "frau" hier also wieder dumpfer, pauschalierender Männlichkeitsverachtung das Wort.

Mit so einer Haltung werden wir den Gewaltszenarien, die das Patriarchat gerade auch im Zeitalter seiner massiven Infragestellung hervorbringt, nichts sinnvoll Förderliches entgegensetzen können. Es sind eben nicht automatisch "unsere eigenen Söhne, Nachbarn, und Mitschüler, die zu Vergewaltigern und Mördern werden", sondern es sind ganz bestimmte, alleingelassene, seelisch verwahrloste, sich verachtet fühlende junge Männer und Frauen, die ihre Aggressionen auf jeweils geschlechtsspezifische Art nach außen oder auch nach innen, gegen sich selbst, loswerden müssen. (Josef Christian Aigner/DER STANDARD-Printausgabe, 17.3.2009)