Die Wirtschaftskrise verschont börsenotierte Gesellschaften nicht. So werden etwa der an der Wiener Börse notierte Automobilzulieferer Eybl International und die an der Wiener Börse sowie an der Börse Warschau notierte Fluglinie Sky Europe als Übernahmekandidaten gehandelt.
In beiden Fällen könnte sich ein Übernehmer auf das übernahmerechtliche Sanierungsprivileg berufen, um der Pflicht zur Stellung eines Übernahmeangebots gemäß den Bestimmungen des Übernahmegesetzes zu entgehen. Das bedeutet einerseits für die Aktionäre der in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindlichen börsenotierten Unternehmen, dass sie ihre Aktien im Rahmen eines Übernahmeangebots nicht verkaufen können, andererseits auch, dass ein Investor Geld direkt in das Unternehmen investieren kann und nicht als Kaufpreis an die Steueraktionäre zahlen muss.
Erlangt ein Käufer eine kontrollierende Beteiligung an einer börsenotierten Aktiengesellschaft, hat er ein Pflichtangebot nach Übernahmegesetz an die Steueraktionäre zu machen. Die Besonderheit des Pflichtangebots liegt darin, dass der Preis des Pflichtangebots im Übernahmegesetz reglementiert ist.

Von Angebotspflicht befreit

So muss der Investor den Aktionären zumindest den Sechsmonats-Durchschnittskurs der Aktien der Zielgesellschaft oder den Preis bezahlen, den er in den letzten zwölf Monaten vor Anzeige des Pflichtangebots bezahlt hat. Sofern der Investor aber Aktien einer börsenotierten Gesellschaft lediglich zu Sanierungszwecken erwirbt, ist er von der Angebotspflicht befreit und hat lediglich den Erwerb der Übernahmekommission anzuzeigen.
Die Übernahmekommission hat bereits vor der Wirtschaftskrise eine detaillierte Spruchpraxis zum Sanierungsprivileg des Übernahmegesetzes entwickelt. So hat sich die Übernahmekommission etwa in den Fällen Libro (GZ 2001/2/5-50), Vogel & Noot (GZ 2002/3/6-93) und CLC (GZ 2002/1/8-64) mit dem Sanierungsprivileg beschäftigt und den Ausnahmetatbestand der "Sanierung" definiert. Das Sanierungsprivileg bezweckt, Sanierungskosten nicht einseitig zulasten eines sanierungswilligen Bieters zu erhöhen und dem Sanierer im Wege eines Pflichtangebots allein das Risiko eines möglicherweise ungewissen Sanierungserfolgs aufzubürden. Wirtschaftlich sinnvolle Sanierungen werden dadurch im Interesse aller Stakeholder begünstigt.

Wünschenswerte Unternehmenssanierungen

Der Gesetzgeber bezweckt damit, volkswirtschaftlich wünschenswerte Unternehmenssanierungen zu ermöglichen, die durch eine Angebotspflicht und den damit verbundenen Liquiditätsbedarf beim Sanierer andernfalls gefährdet wären. Aber auch die Aktionäre der in Schwierigkeiten befindlichen börsenotierten Gesellschaft werden geschützt: Zwar bekommen sie keine Möglichkeit, ihre Aktien in ein Übernahmeangebot des Sanierers zu verkaufen, ihr durch die wirtschaftliche Krise jedoch gefährdetes Investment kann durch eine geplante Sanierung aber gewahrt und ein etwaiger Beteiligungswert erhalten werden.
Die "Sanierung" ist im Übernahmegesetz nicht definiert. Die Konkursordnung (KO), die Ausgleichsordnung (AO) und das Unternehmensreorganisationsgesetz (URG) kennen die "Sanierung" nicht. Es handelt sich um einen spezifisch übernahmerechtlichen Begriff, den die Übernahmekommission als Ausnahme von der Angebotspflicht eng auslegt. Die Sanierungen sind dann übernahmerechtlich privilegiert, wenn betriebswirtschaftlich funktionsfähige Einheiten und damit zusammenhängende Arbeitsplätze erhalten werden können und die wertzerstörende Zerschlagung von Unternehmen verhindert wird.
Die Übernahmekommission prüft das Vorliegen eines Sanierungszwecks an zwei wesentlichen Kriterien, dem Sanierungsbedarf der börsenotierten Gesellschaft sowie der Sanierungsabsicht des Sanierers. 

Unzureichender Restrukturierungsbedarf

Der Sanierungsbedarf muss objektiv vorliegen, ein reiner Restrukturierungsbedarf oder Kostenoptimierungsprogramme sind unzureichend. Die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft muss sich derart negativ entwickeln, dass die Werthaltigkeit des Investments der Aktionäre ernsthaft gefährdet ist. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn sich die Insolvenz der Gesellschaft bereits deutlich abzeichnet. Es ist aber nicht erforderlich, dass die Insolvenz bereits eingetreten ist. Liegt ein Insolvenztatbestand bereits vor, ist der Sanierungstatbestand jedenfalls erfüllt.
Saniert werden muss, wenn ...
Indizien für den Sanierungsbedarf sind ein massiver und nachhaltiger Verfall des Börsenkurses, erhebliche operative Verluste, die Vornahme eines wesentlichen stillen Ausgleichs oder etwa das Bestehen eines dringenden und erheblichen Liquiditätsbedarfs. Das Vorliegen eines Reorganisationsbedarfs nach URG begründet hingegen nur dann einen Sanierungsbedarf, wenn der Reorganisationsbedarf bei der Gesellschaft auch bei Ermittlung der URG-Kennzahlen auf konsolidierter Basis vorliegt.

Prüfung der Sanierungsabsicht

Die Sanierungsabsicht des Sanierers wird von der Übernahmekommission anhand eines Sanierungskonzepts geprüft. Die Übernahmekommission prüft dabei nicht die Sinnhaftigkeit des Konzepts, sondern formal die Art und Weise der Sanierung, etwa inwieweit sich der Sanierer vertraglich zur Durchführung von Sanierungsmaßnahmen, z. B. der Zuführung frischer Liquidität durch Zeichnung einer Kapitalerhöhung, verpflichtet.
Liegt der Tatbestand der Notwendigkeit einer Sanierung vor, kann der Sanierer die börsenotierte Gesellschaft ohne Übernahmeangebot an die Steueraktionäre übernehmen. Dies soll nach der Intention des Gesetzgebers zur Erhaltung statt zur Zerschlagung der Werte und damit auch zum Schutz der Steueraktionäre führen. Inwieweit sich die Intention des Gesetzgebers bewahrheitet, wird die Wirtschaftskrise zeigen.(Albert Birkner, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.3.2009)