Das psychiatrische Gutachten versucht Ursachen für Josef F.s "höhergradige Abartigkeit" zu finden - Von
Roman David-Freihsl 

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Die Diagnose der Sachverständigen Adelheid Kastner ist eindeutig: Josef F. leidet an keiner Geisteskrankheit. In den 24 Jahren, in denen er seine Tochter im Kellerverlies gefangen hielt, sie vergewaltigte und sieben Kinder zeugte, sei er voll zurechnungsfähig gewesen. Eines sei aber sicher: "Wer so etwas tut, hat eine umfassende, schwere Störung." Was Kastner dem Angeklagten attestiert, ist eine "höhergradige seelisch-geistige Abartigkeit". Doch was kann eine derartige Verformung in einem Menschen auslösen? Kastner geht in ihrem psychiatrischen Gutachten weit zurück, bis zu Josef F.s Großeltern, wo sie bereits schwer zerrüttete Verhältnisse vorfand.

Josef F. selbst ein "Beweiskind"

Schon die Mutter von Josef F. sei vom Vater "außerehelich gezeugt und in eine unfruchtbare Ehe hineinadoptiert" worden. Die Mutter litt unter dem dominanten, gewaltbereiten Vater.

Auch die erste Ehe der Mutter blieb kinderlos, ihr Mann ließ sich scheiden. Ihr einziges Streben sei es gewesen, "zu beweisen, dass der Makel nicht an ihr lag". Josef F., den sie mit einem anderen Mann zeugte, sei "kein Alibi-Kind, sondern ein Beweiskind" gewesen. "Das war die einzige Funktion dieses Kindes", so Kastner.

Er war eine Unannehmlichkeit, die sie verprügelte

"In der Folge war es nur noch eine Belastung, eine Kalamität." Um die sie sich kaum kümmerte. Selbst dann nicht, als das Kind "nicht urinieren konnte, wegen einer Vorhautverengung, und zwei Tage lang schrie". Er war eine Unannehmlichkeit, die sie verprügelte, bis er "blutend am Boden lag".

Emotionaler Analphabet

Diese Verhältnisse hätten es für Josef F. unmöglich gemacht, "ein Urvertrauen und ein positives Gefühlsrepertoire auszubilden" - "man könnte ihn als einen emotionalen Analphabeten bezeichnen". Ihm sei nur eines übrig geblieben: Gefühle wegzuschieben, zu begraben. Doch im Verborgenen seien sie nach wie vor vorhanden, nur nicht mehr zugänglich - und die verschütteten Gefühle entfalteten "eine unglaubliche Wirkung".

"Wenn sie mich schlägt, schlag' ich zurück"

Mit 13 habe er beschlossen, das Verhalten seiner Mutter nicht mehr zuzulassen: "Wenn sie mich schlägt, schlag' ich zurück." Zum gleichen Zeitpunkt hätten sich in Josef F. erste sexuelle Bedürfnisse entwickelt - und dann habe sich "die Umkehr eines Ohnmächtigen" ereignet; sein "Machtbedürfnis im sexuellen Bereich hat unendliche Dimensionen angenommen". Der absolute Mangel an Zuneigung wurde in der Umkehr "zum Wunsch, einmal jemanden ganz uneingeschränkt zu besitzen". Ein Begehren, das er lange Zeit vergrub.

Der Vulkan im Inneren

Kastner vergleicht F.s Innenleben mit einem Vulkan: "Ganz unten brodelten die unerfüllten Bedürfnisse nach Macht und Dominanz. Gleichzeitig weiß er: Wenn er einmal die Kontrolle lockert, bricht das mit aller Macht durch."

Er entwickelte Fantasien

Zum Teil lebte Josef F. seine Machtbedürfnisse in der Familie aus. Aber nicht in der Sexualität. Also entwickelte er Fantasien: "Im Wissen: Es darf nicht sein - aber es wäre so gut." Und dann "kommt der Moment, wo solche Menschen es doch tun. Und sie erleben, wie befreiend, wie grandios das ist."

Einen Menschen für sich alleine

Die exzessive Eruption von Josef F.s Innenleben schuf "eine Situation, wo er der absolut Mächtigste ist". Im Kellerverlies hatte er "einen Menschen für sich alleine. Eine Bindung, die ihm auch nach der Befreiung niemand mehr wegnehmen kann". Auch die Geburt der Kinder passe in dieses Schema: "Je mehr Kinder, desto sicherer wird diese Bindung der Unterwerfung und der Beherrschung."

"Wenn ich hinausgegangen bin, war die Türe zu" - In jeder Hinsicht

Sie habe Josef F. einmal gefragt, wie er gleichzeitig oben sein normales Leben habe weiterführen können. Er habe geantwortet: "Wenn ich hinausgegangen bin, war die Türe zu." In jeder Hinsicht. Nur beim Einschlafen und Aufwachen, da habe er ungewollt daran gedacht, was er tut. "Dann ging es ihm schlecht. Er hat gewusst, er handelt gegen alle erdenklichen Regeln des menschlichen Zusammenlebens."

Eindeutige Schuldfähigkeit

Die Frage der Schuldfähigkeit sei daher eindeutig mit Ja zu beantworten. Josef F. sei eine Persönlichkeit, die durchgehend und massiv gestört sei. Auch wenn sich ein Nachlassen seiner Sexualität abzeichne: "Sein Grundbedürfnis ist eine Ausübung der Macht. Ob er sie im sexuellen oder einem anderen Bereich ausübt, ist nebensächlich." Seine "Gefährlichkeit ist auch durch hohes Alter nicht verschwunden".

Adelheid Kastner plädiert daher für die Einweisung in eine Anstalt für zurechnungsfähige, abnorme Rechtsbrecher. (Roman David-Freihsl, DER STANDARD Printausgabe 19.3.2009)