Jüngste Prognosen vom Dienstag sagen für die Mitte-rechts-Kandidatin 39,1 Prozent der Stimmen voraus, Amtsinhaber Ivan Gasparovic, der von der Regierungskoalition gestützt wird, kommt auf 50,2 Prozent. Eine Stichwahl dürfte laut Experten unausweichlich sein.

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"Ich hoffe, mein Wahlkampf zeigt den Frauen, dass es möglich ist, an der Politik aktiv teilzuhaben."

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Mehrere hundert Unterstützer versammelten sich zum Wahlkampfabschluss auf dem zentralen Hviezdoslavovo Platz in der Altstadt von Bratislava.

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Wirtschaftskrise hin oder her, die Lobby des noblen Hotels Carlton in der Bratislavaer Altstadt ist voll wie eh und je. Während an den übrigen Tischen in dunkles Tuch gewandete Männer über Brandygläser und Espressotassen gebeugt den Feierabend einläuten, hat sich Iveta Radicova in eine Ecke zurückgezogen. Die 52-Jährige tritt als erste Frau in der jungen Geschichte der slowakischen Republik mit realistischen Chancen ausgestattet zur Präsidentschaftswahl an. Bevor sie zum Abschluss ihres zweiwöchigen Wahlkampfes auf einer Bühne vor dem Hotel ein letztes Mal zum Wahlvolk spricht, hat sie sich mit derStandard.at zum Interview getroffen.

derStandard.at: Laut jüngsten Umfragen planen zwischen 34 und 41 Prozent der Wahlberechtigten, ihre Stimme am Samstag abzugeben. Warum ist das Interesse an dieser Wahl so gering?

Iveta Radicova: Wie viele Leute zur Wahl gehen, hängt davon ab, für wie mächtig sie die Position halten, die zur Wahl steht. Viele Leute fragen sich, ob die Slowakei überhaupt einen Präsidenten braucht oder ob es nicht genügt, eine Regierung zu haben. Auch auf regionaler Ebene herrscht meist eine sehr geringe Wahlbeteiligung, am geringsten ist sie bei den EU-Wahlen. Und zweitens gibt es generell eine starke Unzufriedenheit mit Politik und den Politikern, das Vertrauen in die Politiker ist recht gering.

derStandard.at: Die slowakische Politik ist auch im mittel- und osteuropäischen Kontext stark männerdominiert. Sehen Sie sich in der Rolle der Türöffnerin?

Iveta Radicova: Frauen erhielten in der Tschechoslowakei 1919 das Wahlrecht, also vor gerade einmal 90 Jahren. Das ist schon ein wichtiger Punkt. Gerade nach der Wende von 1989 haben es Frauen aber sehr schnell geschafft, am demokratischen Prozess teilzunehmen und in hohe Positionen der Politik zu gelangen. In kleinen Schritten zwar, aber natürlich, von Frauenquoten halte ich nichts. Ich hoffe, mein Wahlkampf zeigt den Frauen, dass es möglich ist, an der Politik aktiv teilzunehmen.

derStandard.at: Ihre Kandidatur wird von der Partei der ungarischen Minderheit unterstützt. Die Beziehungen zum Nachbarland waren zuletzt getrübt. Wie wollen Sie sie verbessern?

Iveta Radicova: Ich bin mir ganz sicher, dass Bürger ungarischer Herkunft die gleichen Probleme haben wie alle anderen Slowaken. Vor allem, weil sie hauptsächlich in Gebieten leben, die weniger hoch entwickelt sind. Streitereien zwischen Politikern beider Staaten helfen diesen Leuten überhaupt nicht. Im Gegenteil, sie tragen weiter zum Misstrauen gegenüber der Politik als ganzes bei.

derStandard.at: Die Roma in der Ostslowakei leben teils unter Bedingungen, die mehr an ein Entwicklungsland erinnern als an einen EU-Mitgliedsstaat. Wie wollen Sie ihre Situation verändern?

Iveta Radicova: Die Kompetenzen des Präsidenten sind hier ziemlich beschränkt. Was ich tun kann ist, Einfluss auf die Einstellung der Bevölkerungsmehrheit gegenüber den Roma auszuüben. Zum Beispiel, indem ich positive Beispiele bekannt mache und erkläre, dass es in kleinen Schritten sehr wohl möglich ist, die Situation zu verbessern. Dazu gehört aber auch die "Vermittlung" zwischen Mehrheitsbevölkerung und den Roma. Vor vier Jahren habe ich an einer europaweiten Studie der Weltbank zum Thema Armut mitgearbeitet. Ein Teil davon hat sich mit der Gruppe der Roma beschäftigt. Also ja, ich fühle mich imstande, meinen Teil zur Verbesserung beizutragen.

derStandard.at: Während des jüngsten Gasstreits stand die Slowakei kurz davor, das umstrittene Akw Bohunice wieder hochzufahren. Wie ist ihre Position zur Atomkraft?

Iveta Radicova: Ich kenne die österreichischen Reaktionen. Zu allererst müssen wir von der Abhängigkeit von russischem Erdgas wegkommen, es ist aber auch eine Aufgabe der EU, eine gemeinsame Lösung zu finden. Nabucco (geplante Pipeline von der Osttürkei nach Österreich, Anm.) könnte uns weiterhelfen. Zweitens will ich mich für staatliche Förderung alternativer Energieressourcen einsetzen, etwa Biomasse. Erst wenn die ersten beiden Wege nicht dazu führen, vom Gas aus Russland wegzukommen, können wir über Atomenergie nachdenken.

derStandard.at: Sie haben Ihren Wahlkampf stark auf die ärmeren Gebiete in der Ostslowakei fokussiert. Welche Strategien unterstützen Sie, um das Wohlstandsgefälle gegenüber der Region rund um Bratislava zu verringern?

Iveta Radicova: Zum Teil hat dieses Gefälle historische Gründe, etwa die agrarische Ausrichtung weiter Teile des Landes. Zum Teil ist die Marginalisierung aber auch Resultat der komplett neuen Orientierung der slowakischen Industrie in den vergangenen Jahren. Es ist wichtig, diesen Unterschied zu verstehen, um eine Lösung zu finden. Auf EU-Ebene muss man über mehr Unterstützung für diese Regionen nachdenken und wirtschaftlichen Protektionismus innerhalb der EU-Staaten beenden. Wir selbst müssen mehr in den öffentlichen Sektor investieren, also in Bildung, das Gesundheitswesen und die Infrastruktur in den marginalisierten Gebieten. Vor allem, was das Autobahnnetz betrifft.

derStandard.at: Ist die Flat-Tax-Politik der Slowakei dafür der richtige Weg, gerade in Zeiten der Rezession?

Iveta Radicova: Unsere Arbeitskräfte sind noch immer zu teuer. Meiner Ansicht nach ist es notwendig, Steuern und Abgaben zu senken. Die Regierung hat damit auch schon begonnen, man wird sehen, ob es reicht. (Florian Niederndorfer, derStandard.at, 18.3.2009)