"Die richtige Information für den richtigen Nutzer zur richtigen Zeit." So lautet das Credo für die "Werbung der Zukunft". Im Schnitt wird jeder Österreicher mit 27 TV-Spots pro Tag konfrontiert. Weitere 700 Werbekontakte finden jeden Monat im Internet statt. "Wir brauchen mehr relevante Werbung", hieß es bei einer von AdLink veranstalteten Podiumsdiskussion zum Thema "Targeting". Reklame müsse einen Mehrwert schaffen. Das könne sie nur, wenn sie auf die persönlichen Präferenzen der User zugeschnitten sei. Nach dem Motto: "Streuverluste minimieren, Treffer potenzieren."
Fragmentierung
"Die Umfelder aus der Vergangenheit funktionieren heute nicht mehr", sagt Joachim Schneidmadl vom deutschen Vermarkter United Internet Media. Individualisierte Werbung müsse die Konsequenz der hybriden Mediennutzung sein. "Es geht um die höchst mögliche Kontaktqualität", meint er. United Internet Media bietet Zielgruppen, die aus einem Konvolut an Daten destilliert werden. Die fünf Kriterien sind Soziodemografie, Surfverhalten, Psychografie, Kaufverhalten und Mediennutzung. Dementsprechend bekomme jeder Nutzer "maßgeschneiderte" Werbung serviert, verspricht Schneidmadl, der mit seiner Agentur in Österreich gmx.at vermarktet.
"So eine zielgenaue Kundenansprache gibt es nur online", behauptet auch Stephan Noller von nugg.ad. Einem Berliner Unternehmen, das das so genannte Predictive Behavioral Targeting etabliert hat. "Es ist wie damals in Tante Emmas Laden, wo der Besitzer viel über seine Kunden wusste", schwärmt Noller. Nugg.ad verbindet eine auf Umfragen basierende Markforschung mit dem tatsächlichen Surfverhalten der User.
70 Variablen
Dieses Behavioral Targeting wird über die Cookies analysiert und mit den mittels Online-Fragebögen generierten Daten wie Konsumverhaltne, Lifestyle, Einkommen etc. kombiniert. Das Ganze wird dann mit speziellen Algorithmen auf die Gesamtheit der User übertragen. So ein anonymisiertes Profil kann aus bis zu 70 Variablen bestehen. „Datenschutzrechtlich ist das vollkommen in Ordnung", sagt Noller und verweist auf ein entsprechendes Zertifikat.
Werbung für Toilettenpapier
Weil die Interessen der User bis ins kleinste Detail bekannt seien, komme Online-Werbung für ein sehr großes Produktsegment infrage. In Kürze werde auch die Konsumgüterindustrie auf den Zug aufspringen, ist Noller überzeugt. "Wo wirbt man zum Beispiel für Toilettenpapier?" Mit Predictive Behavioral Targeting könne man die gewünschte Zielgruppe - etwa 35 Jahre alt, zwei Kinder - exakt ins Visier nehmen. "Das kann Google nicht bieten." Hier werden die Rückschlüsse nur übers Surfverhalten gezogen.
Effizienzsteigerung
In Österreich kommt die Technologie von nugg.ad zum Beispiel auf derStandard.at zum Einsatz. Gerade eben wurde es auch auf krone.at implementiert. Bei den Vermarktern bedient sich Tripple Internet dieses Systems. "Targeting ist ein mächtiges Instrument", konstatiert Roland Kreutzer, Chef von Tripple Internet, enormes Potenzial. Die bisherigen Erfahrungen hätten gezeigt, dass sich die Effizienz von Kampagnen steigern lasse. Kreutzer sieht den gesamten Markt gefordert: "Es gibt noch zu wenige, die das nutzen." Neben der Zielgruppe sei mittlerweile auch die nötige Reichweite vorhanden.
Von Produkten abhängig
Susanne Kristek von FastBride erhofft sich durch immer differenziertere Targeting-Lösungen weitere Impulse für die Online-Werbung. Je genauer die Zielgruppe, desto größer die Attraktivität. Dadurch könnten Kunden, die bis jetzt noch nichts ins Web investiert haben, gewonnen werden. Kristek hat mit Studenten an der FH in St.Pölten eine Studie zum Predictive Behavioral Targeting durchgeführt. In Bezug auf Werbewirkung, Eye-Tracking und Klickraten habe es im Vergleich zu umfeldorientierten Kampagnen keine signifikanten Unterschiede gegeben. Da aber nicht für alle Produkte ein großes Umfeld existiere, brauche es diese Art der Werbung, um in die Breite gehen zu können. "Es macht aber nicht für alles Sinn", sagt Kristek. Für gewisse Produkte müsse erst Interesse aufgebaut werden.
Reichweiten zur Verfügung stellen
Bei der Reichweite identifiziert Herbert Pratter von der Mediaagentur isobar das größte Problem: "In Österreich sind wir noch nicht so weit, dass wir Zielgruppen TKPs (Anm.: Tausend-Kontakt-Preis) haben." Pratter bescheinigt dem Targeting "riesiges Potenzial, das bei weitem noch nicht ausgeschöpft" sei. Um größere Reichweiten abschöpfen zu können, wünscht er sich eine engere Zusammenarbeit der verschiedenen Vermarkter.
Schützenhilfe von Google
Für Kooperation der einzelnen Vermarkter in Deutschland plädiert auch Stefan Noller von nugg.ad: "Es muss auf Reichweite funktionieren." Die Zielgruppe dürfe nicht zu spitz sein. Die momentane Krise werde dafür sorgen, dass die Agenturen die Zusammenarbeit forcieren müssen. Eine Alternative zum Targeting gibt es schließlich nicht, glaubt Noller, der sich einen weiteren Popularitätsschub von Google erwartet. Der Suchmaschinen-Gigant hat vor kurzem bekannt gegeben, dass er ins Geschäft mit Behavioral Targeting einsteigt. Die „Interest Based Ads" werden gerade im Google-Netzwerk und auf YouTube in einer Beta-Version getestet.
"PR-Gag" von Google
Den Nutzern, die kürzlich die Seite eines Werbetreibenden frequentiert haben, wird beim Aufruf von Seiten des Google-Netzwerks eine entsprechende Anzeige des Kunden serviert. Außerdem bekommen sie thematisch relevante Werbung. Jene, die sich dadurch mit Targeting beschäftigen, werden draufkommen, dass Anbieter wie nugg.ad oder United Internet Media viel exaktere Zielgruppen offerieren, sind die Vertreter der beiden Unternehmen überzeugt. "Google hat die Komplexität der Werbung unterschätzt", sagt Joachim Schneidmadl. Dass User ihr Profil, das die Basis für die ausgelieferte Werbung ist, ändern können, hält er für einen "reinen PR-Gag". Google stehe wegen dem Datenschutz ohnehin schon sehr unter Druck.
Rasantes Wachstum
Die unterschiedlichen Targeting-Technologien seien zwar schon sehr ausgereift, die Verbreitung lasse aber noch zu wünschen übrig, meinten die Diskutanten unisono. In Deutschland werden bis dato nur fünf Prozent aller Kampagnen mit spezifischem Targeting ausgeliefert. Im Jahr 2011 werden es schon 50 Prozent sein, prognostiziert Noller von nugg.ad ein rasantes Wachstum. Für Österreich rechnet er mit ähnlichen Werten. (om, derStandard.at, 19.3.2009)