Baron Münchhausen rettet im Wiener Rabenhof die Fantasie. Anarchistisches Kindertheater für Sechsjährige.

Foto: Ingo Pertramer / Rabenhof

Wien - Mit sechs Jahren werden Kinder schulpflichtig. Spätestens ab diesem biografischen Einschnitt beginnt ein Lebensabschnitt, den Eltern je nach Gusto als Schwindel- oder Lügenalter bezeichnen. Hin- und hergerissen zwischen Fantasie und Notlüge machen uns die lieben Kleinen dann nicht nur bezüglich ihrer Hausaufgaben gern ein X für ein Nix vor. Daraus entwickeln sich manchmal Karrieren.

Weil: Im Wiener Rabenhof lügen später am Abend mittelalte Männer in lustigen Kabarettprogrammen. Und zwar so, dass sich die Balken biegen. "Kaiser" Robert Palfrader tarnt sich da als "Mann fürs Grobe". Bundeskanzler Werner Faymann redet mit den fremden Zungen der Synchronisationsguerrilla maschek, Papst Benedikt XVI. wird zu DJÖtzi. Große Kinder sind sie alle. Ab sofort wird jetzt mit dem entzückend anarchistischen Theaterspaß Baron Münchhausen im Rabenhof auch dem unbehauenen sechs- bis achtjährigen Nachwuchs Stoff zum Nachmachen gegeben.

Unter der Regie von Roman Freigaßner und nach dem Buch von Alex Scheurer und Gregor Barcal wird dieser heute dank Harry Potter und Pokemon, aber auch Gameboy und, ja, Harry Potter etwas angestaubt wirkende Klassiker der deutschsprachigen Jugendliteratur einer radikalen und vor allem zeitgemäßen Neubearbeitung unterzogen. Und alle Kleinen im Saal haben ihren großen Spaß dabei.

Sebastian Wendelin, dem wunderbar energetisch agierenden Nestroy-Preisträger 2008, wird in seiner von der Zielgruppe freudig empfangenen Rolle als Sebastian Münchhausen, einem Urururur-Stopp!-Enkel des legendären Flunkerbarons, in der Schule gemeinerweise seine Fantasie gestohlen. Dem Benetton-Punk vergeht aufgrund dieser von Lehrkörper Bernhardine von Brünn (Barbara Horvath) verübten Untat Hören und Sehen - und alle Träumerei.

Die von Brünn als alte Widersacherin des Barons von Münchhausen könnte nur vom alten Schwindler selbst gestoppt werden. Wie es die Regie will, erscheint dieser auch prompt in imposanter Preußenuniform mit Puderperücke und Kokolores. Stimme vom Nebensitz: "Ist das der Mozart?!" Gemeinsam mit Urururur-Stopp!-Enkelkind Sebastian und einem Schulfreund geht es mit und in einer Zauberkiste auf die Suche nach der verlorenen Fantasie.

Diese hat die böse Frau "woanders" versteckt. Das "Woanders" ist bekanntlich immer dort, wo man gerade nicht ist. Deshalb reist man zum Mond, zum Mittelpunkt der Erde, auf den Meeresgrund und ins große graue Bildschirmrauschen. Eine dem Verfasser gut bekannte Anverwandte flüchtet sich hier während zweier Szenen voll Höllenfeuer und Donnergurgeln auf die Toilette - auch sonst wird es im Saal sehr still. Gute Kinder!

Am Ende siegt die Fantasie. Sebastian Münchhausen darf weiter tagträumen, wenn es in der Schule oder in der Freizeit zu fad wird. Wir erleben bei minimalem ökonomischen Bühnenbildaufwand und hochmotivierten Schauspielern, dazu zählen auch noch Paul König und Bernhard Majcen, ein entzückendes Lehrstück zum Thema Freak-out. Mehr ist von Kindertheater nicht zu verlangen. Die Zielgruppe findet das: coolo! (Christian Schachinger, DER STANDARD/Printausgabe, 20.03.2009)