Ganz frei von Anwandlungen des geilen Voyeurismus war der ORF ja nicht im Prozess gegen Josef F., getrieben von privaten Sendern mit Beiträgen zum "Monster" von Amstetten. Andererseits: Bei der Urteilsverkündung wäre eine Live-Übertragung nicht unangemessen gewesen, siehe BBC, n-tv.

Mit Bangen gingen wir also nach dem entscheidenden Moment des Verfahrens - dem Tag, als der Angeklagte sich wendete, in allen Anklagepunkten schuldig bekannte - zum Fernsehgerät. Und wurden höchst angenehm überrascht. In der "ZiB 2" war nicht ein Instantexperte für psychiatrische Grenzfälle, ein Haller-für-alle-Fälle sozusagen, eingeladen, der plakativ raushängt, als Psychiater vor Ort, Gastautor in Zeitungen oder Alles-Erklärer in Magazinen gleichzeitig. Nein, Armin Wolf hatte Adelheid Kastner vor dem Mikrofon, die Psychiaterin, die den Angeklagten begutachtet hat.

Und beide brachten es zustande, einen Blick auf F. zu ermöglichen, der klarer nicht sein hätte können, weil das Gespräch frei von Emotion und Spekulation war. "Ich habe noch nie ein Monster begutachtet" , sagte Frau Kastner, "Herr F. ist ein Mensch mit Bedürfnissen" - um dann dessen verbrecherisches Handeln, Fühlen und Denken präzise zu beschreiben. Wie kompetent jemand ist, das zeigt jemand, wenn er auch sagt, was er nicht beantworten kann, weil es spekulativ wäre. So wie Frau Kastner. (Thomas Mayer, DER STANDARD; Printausgabe, 20.03.2009)