Frankreich war schon immer gut bei der Schaffung von Mythen. Auf den Streik der Franzosen gegen die Wirtschaftskrise an sich sehen viele in Europa - man glaubt an ein Fanal für die Regierungen, an den Beginn einer Protestbewegung, die Premierminister und Präsident in der EU hinwegspülen könnte, an eine Mischung aus Mai '68 und Aufstand des dritten Standes gegen die Lug-und-Trug-Gesellschaft der Finanzmanager. Die Wahrheit ist prosaischer.

Die Franzosen haben kein Monopol auf die Wirtschaftskrise, wohl aber auf eine vormoderne Austragung sozialer Konflikte auf der Straße. Protestiert oder gestreikt haben in den vergangenen Wochen auch schon die Letten, Iren oder Bulgaren; die Isländer brachten ihre Regierung zu Fall, die Arbeiter in den deutschen Opelwerken und deren Zulieferbetrieben forderten laut mehr Unterstützung durch den Staat. In Frankreich aber haben die Zersplittertheit der Gewerkschaften und der sehr geringe Organisationsgrad immer schon gleich zu bunten Umzügen durch die Städte geführt: Erst wird gestreikt, werden Züge und Postverteilung angehalten, und dann wird unter dem Eindruck der großen Mobilisierung irgendwie verhandelt.

Nur über was genau, fragt man sich diesmal. Forderungen nach mehr Lohn und Arbeitsplatzgarantie sind in Zeiten der Rezession wenig realistisch. Dass die zerstrittene sozialistische Opposition sich selbst blockiert, ist gleichfalls unerheblich. Wie überall in Europa haben auch die Franzosen nur die Wahl zwischen staatlichem Konjunkturprogramm und noch mehr Konjunkturprogramm.  (DER STANDARD, Printausgabe, 20.3.2009)