Wolfgang Sachs: "Ökologische Wirtschaft heißt auch, dass das Schlechte schrumpft und nicht nur das Gute wächst."

Für die Umwelt ist die Rezession eine Atempause. Die ökologischen Ziele könnten langfristig ohnehin nicht erreicht werden, wenn die Wirtschaft stetig wächst, sagt Nachhaltigkeits-Experte Wolfgang Sachs zu Bernhard Pötter.

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STANDARD: Haben Sie bei den Nachrichten vom Ende der Investmentbanken die Sektkorken knallen lassen?

Sachs: Nein. Eine Talfahrt der Wirtschaft kann unabsehbare soziale und politische Folgen haben. Sekt ist also nicht das passende Getränk.

STANDARD: Aber ist nicht das Ende des Finanzkapitalismus das Beste, was der Umwelt passieren kann?

Sachs: Das kann man so sagen. Im Allgemeinen tut es der Umwelt gut, wenn die Wirtschaftsleistung zurückgeht. Denn Rezession heißt auch Rückgang im Umweltverbrauch, und rein ökologisch betrachtet ist das keine schlechte Sache. Aber es reicht eben nicht, die Dinge nur ökologisch zu betrachten. Man muss sehen, was das für die Menschen bedeutet, und auch, welche Chancen bleiben, ökologische Politik zu betreiben.

STANDARD: Ändert sich das Denken?

Sachs: Wir erleben in diesen Monaten einen Wechsel der Filmspule. Von einem Tag auf den anderen sind die Zeiten des Neoliberalismus vorbei. Diese Art der Globalisierung war ein Irrweg, der uns fünfzehn Jahre gekostet hat. Die gleichen Staaten, die sich 1992 zur Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio getroffen hatten, haben drei Jahre später in Marrakesch die Welthandelsorganisation gegründet, um die Welt in eine grenzenlose Handelsarena zu verwandeln. Marrakesch hat Rio geschlagen, deshalb blieb ökologisch so viel ungetan. Mittlerweile ist nicht nur die Finanzwirtschaft an die Wand gefahren, sondern auch die Doha-Runde der Welthandelsorganisation steckengeblieben. Aus den beiden Großprojekten des Neoliberalismus sind Ruinen geworden. Zum Glück - denn es ist wieder selbstverständlich, dass die Politik mit im Spiel sein muss. Einen ökologischen Übergang gibt es nämlich nur, wenn die Priorität der Politik gegenüber dem Markt gesichert ist.

STANDARD: Sie fordern eine Wirtschaft ohne Wachstum. Warum?

Sachs: Weil es schwer vorstellbar ist, dass die europäischen Reduktionsziele für Treibhausgase - gut 80 Prozent weniger bis 2050 - auf einem Pfad jahrzehntelangen stetigen Wachstums erreicht werden können. Zwar könnte es sein, dass kurzfristig beim Umstieg zur ressourcenleichten Wirtschaft sogar Wachstum möglich ist, denn es müssen ja Bereiche wachsen wie neue Technologien oder erneuerbare Energien, aber längerfristig heißt Nachhaltigkeit, dass das Wirtschaftssystem nicht mehr auf aggregiertes Wachstum hin programmiert werden kann. Der ökologische Umstieg braucht ja einerseits Wachstum, andererseits auch Schrumpfung. Ökologische Wirtschaft heißt aber auch, dass das Schlechte schrumpft und nicht nur das Gute wächst. Schrumpfen müssen also die fossile Energieindustrie, die Autoindustrie und die chemische Industrie, wie wir sie heute kennen, ebenso das Agro-business.

STANDARD: Aber diese Schrumpfung muss international organisiert werden. Sonst wird der Stahl eben in China produziert.

Sachs: Das ist das Argument der Chemie- und Stahlindustrie beim Streit um den Emissionshandel, und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ist vor dieser uralten Drohgeste eingeknickt, anstatt den Ausweg zu wählen, den Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy vorgeschlagen hatte: nämlich an der EU-Grenze einen Energieausgleich einzuführen. Wer Produkte importiert, bei denen die darin enthaltenen Treibhausgase nicht ad-äquat bezahlt sind, muss an der Grenze einen Aufschlag dafür bezahlen. Dann lohnt es sich, nicht abzuwandern. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21./22.3.2009)