Vom Ende des Kapitalismus ist in diesen Tagen vielfach die Rede. Was tatsächlich zunehmend "entzaubert" wird, ist der Stellenwert quantifizierender Prognosen für die Qualität unternehmerischen Handelns. Und das ist gut so.

Peter F., Politologe, am 28. Februar: "Reinhart Rohr hat einen unaufgeregten, soliden und professionellen Wahlkampf hingelegt und sich daher für viele wohltuend von Gerhard Dörfler abgehoben, der von einem Fettnapf in den nächsten getappt ist" – Peter F., Politologe, am 1. März: "Reinhart Rohr hätte viel stärker attackieren müssen"

An einem Tag setzte die SPÖ an, das BZÖ in Kärnten zu überholen, am nächsten gewann das BZÖ die Wahlen klar. Medien und Parteifunktionäre fragen Experten am nächsten Tag dasselbe wie am Tag davor: was die Erklärung für bestimmte Ereignisse ist, und was die Zukunft bringen wird. Der Experte muss umschiffen, warum die eigene Prognose und deren Herleitung vom Tag davor so falsch war. Schon die antiken Seher wussten, dass sie nur so ihren gesellschaftlichen Status erhalten können. Damals wie heute befriedigen die "Deutungshoheiten" eine Ursehnsucht nach Vorhersehbarkeit und Kausalität – der sinnlose Tod von hunderttausenden bei einem Tsunami wird sinnvoll, wenn es eine Strafe Gottes ist, oder zumindest eine Schwalbe tief flog.

Eine populäre Erklärung für die heutige Krise ist: Banker waren ignorant, manche kriminell. Sie türmten unverstandene Risiken auf, und dann stürzte das Kartenhaus ein. So verlockend diese Logik ist, so wenig einfach ist die Welt. Die Profis unter den Bankern, Aufsichtsbehörden und Regierungen – und die große Mehrzahl waren Profis, mit nicht weniger Anstand als sonstwo – kannten ihre Produkte, die Risiken waren modelliert und bewertet. Ob sie "richtig" bewertet waren? Bewertungen sind Prognosen über zukünftige Geldströme ...

Überschätzte "Experten"

Was wir jetzt sehen, ist nicht das Ende des Kapitalismus. Es ist das Ende der Planwirtschaft, ob in staatlicher oder privater Hand. In einer komplexen und interdependenten Welt ist weniger "strategic planning" und mehr "strategic readiness" gefragt.

Jedes bessere Unternehmen leistet sich Strategen und entwickelt Drei- oder sogar Zehnjahrespläne. Diese Pläne basieren auf einer Extrapolation aus der Vergangenheit, eventuell angereichert durch Szenario-Planung. Ist diese Art der strategischen Planung solide? Ja, außer wenn sie es nicht ist, beim Fall des Eisernen Vorhangs (extrem z. B. für das Burgenland), dem Zusammenbruch der Sowjetunion (z. B. für Finnland), der Finanzkrise 1998 (z. B. für Zentralbanken), dem Platzen der Internet-Blase (z. B. für Technologie-Unternehmen), dem 11. September (z. B. für die Luftfahrt). Und das waren bloß die letzten 20 Jahre! Die jetzige Krise überrascht die Planer noch mehr, da sie rasant synchron und global wurde. Manch ein Unternehmen bastelt zurzeit gerade an der vierten oder fünften Version der Unternehmensplanung 2009- 2011. Offensichtlich bringt auch Expertise wenig Nutzen, wenn es darum geht, die Zukunft vorherzusehen. Woher kommt dann der hartnäckige Glaube an Planung?

Zum einen von Experten selbst; Beim Planen überschätzen sie, was sie wissen, und unterschätzen, was sie nicht wissen. Zum anderen liegt es an der Spezialisierung. Wenn ich krank bin, werde ich dem Fachwissen des Arztes vertrauen, anstatt selber Medizin zu studieren. Wenn mir meine Ärztin sagt, dass eine Therapie eine Heilungschance von 80 Prozent hat, kann ich ihr vertrauen, dass in klinischen Tests 80 von 100 Patienten geheilt wurden. Wenn ein Ökonom heute sagt, dass die Weltwirtschaft mit 80-prozentiger Sicherheit schrumpfen wird, hat er keine hundert Weltwirtschaften, in denen er gleich- zeitig Experimente ablaufen lassen kann. In Wahrheit sagt dieser Ökonom: Ich habe ein Modell gebaut, innerhalb dessen eine 80-prozentige Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass die Weltwirtschaft 2010 schrumpfen wird. Das Modell des Ökonomen mag komplex sein, ist aber nur im Rahmen seiner eigenen Annahmen in der Lage, die Wirtschaft zu simulieren.

Unwägbarkeiten

Stimmt die Prognose, unterstreicht sie in ihrer eigenen Denke die Qualität des Experten. Wenn sie, wie meist, daneben liegt, so hat er (und die meisten sind Männer) ein typisches Erklärungsmuster: exogene Variable, die nicht in die Analyse einbezogen werden sollten oder konnten, oder so geringe Eintrittswahrscheinlichkeiten haben, dass sie nicht wert waren, ins Kalkül genommen zu werden. Prognosen sind also korrekt, solange nichts Unberechenbares dazwischenkommt. – Also so gut wie nie.

Man kann Experten dazu bekommen, über unwahrscheinliche Ereignisse zu spekulieren, oder konkrete Szenarien zu beschreiben. Aufgrund der Unwägbarkeiten geht es aber nicht darum, Entwicklungen vorherzusagen oder zu quantifizieren, sondern Expertise zu verwenden, um über Konsequenzen nachzudenken und vorbereitet zu sein.

Man gewinnt keine Meinungsumfrage, wenn man Tamiflu und Grippemasken einlagert. Was wäre gewesen, wenn die Vogelgrippe leichter übertragbar und virulent geblieben wäre? Kaum jemand ist dagegen, x-Millionen Euro aus dem Verteidigungsbudget zu schneiden. Was aber, wenn ABC-Truppen keine ausgebildeten Reservisten mehr haben und Terroristen einen Anschlag in Österreich verüben? Wie gehen Planer mit Ereignissen mit sehr geringer Eintrittswahrscheinlichkeit und sehr hohen Auswirkungen um? In der Regel, wie die jetzige Krise zeigt, schlecht.

Fragwürdiges "Machertum"

Manager und Politiker sind angestellt oder durch ein Gremium gewählt und unterliegen daher dem Urteil anderer. Wichtig in einer Krise ist es, als "Macher"gesehen zu werden, möglichst unterstützt durch Experten, die das düstere Szenario malen, was passiert, wenn nicht sofort etwas passiert. Schnell und legitimiert Handelnde können den Erfolg für sich reklamieren oder haben ein Feigenblatt, wenn sie scheitern. Der Eindruck der Hyper-Aktivität bestärkt auch den Glauben an Kausalität, an den Zusammenhang zwischen Ergebnissen und dem eigenen Beitrag dazu.

Keine Regierung, die nicht schon ein Bankenpaket (oder zwei oder drei) aufgelegt hätte. Kein Unternehmen, das nicht schon vorsorglich Kosten und Stellen reduziert. Manche dieser Aktivitäten sind notwendig. Krisen bieten Gelegenheit, Veränderungen zu bewirken, die sonst kaum durchzusetzen sind. Der Fokus sollte dabei auf Aktivitäten liegen, die nicht schaden und Flexibilität und Selbstheilungskräfte fördern und keine langfristigen Folgekosten haben (daher Vorsicht, jetzt mit großem Schnitt Talent zu verlieren, das man in wenigen Jahren dringend nötig haben wird; oder großzügige Staatsausgaben zuzusichern, die künftig nur schwer wieder zu drosseln sind).

Gute Entscheidungen müssen auf komplexen Folgeabschätzungen beruhen, nicht auf wertlosen Prognosen. Sie brauchen, immer noch, etwas Weile. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21./22.3.2009)