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Laut einer Untersuchungleisten die "Heinzelmännchen" unter den Deutschen 4,6 Milliarden Stunden ehrenamtliche Arbeit im Jahr.

Foto: dpa/Kumm

Sie übernehmen damit wichtige Funktionen des Staates. In der Krise könnte sich dieses Phänomen noch verstärken, meint der Soziologe Sebastian Braun.

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Wer sich mit Manuela verabreden will, weiß: Donnerstags kann sie den ganzen Nachmittag nicht, auch abends ist keine Zeit. Da spielt die 45-jährige Kielerin mit Jugendlichen, die es im Leben nicht so leicht haben wie andere, Tischtennis, unterstützt sie bei den Hausaufgaben oder hilft, Bewerbungen zu schreiben. Geld gibt es dafür keines, aber das macht Manuela nichts. "Mir geht es nicht schlecht, da gebe ich gerne etwas von meiner Zeit ab. Und ich bekomme sehr viel von den jungen Menschen zurück."

Jörg klappert alle 14 Tage Berliner Supermärkte ab, sammelt übriggebliebene Lebensmittel ein und bringt sie der "Berliner Tafel", die sie an Bedürftige verteilt. "Geld habe ich selbst nicht so viel, aber ich kann Freizeit aufbringen, um zu helfen", sagt auch er.

Gegenwert in Milliarden

Politiker bezeichnen Menschen wie Manuela und Jörg gerne als das "Rückgrat der Gesellschaft". Unbezahlt und freiwillig packen rund 23 Millionen Deutsche Aufgaben an, die der Staat allein nicht finanzieren könnte. Laut einer Untersuchung der Versicherung AMB Generali leisten diese "Heinzelmännchen" 4,6 Milliarden Stunden ehrenamtliche Arbeit im Jahr. Würde der Staat diese mit 7,50 Euro pro Stunde honorieren, müsste er 35 Milliarden Euro pro Jahr dafür ausgeben.

Doch nun fragen sich auch viele der Vereine und Organisationen bange: Wie geht es in der Krise weiter? Sind die Menschen auch künftig bereit zu helfen? "Diese Finanz- und Wirtschaftskrise ist für das Ehrenamt die Nagelprobe", sagt Sebastian Braun zum Standard. Der Soziologe, der an der Humboldt-Universität Berlin das "Forschungszentrum für Bürgerschaftliches Engagement" leitet, hat im Auftrag des deutschen Familienministeriums eine große Studie über freiwillige Dienste publiziert und ist beim Blick auf die nächsten Monate nicht pessimistisch: "Ich denke, es wird in den nächsten zwei bis vier Jahren eine noch stärkere Identifikation mit dem Gemeinwesen stattfinden." Nicht weil die vielen freiwilligen Helfer das gemeinsame Ziel hätten, der Krise zu trotzen, sondern "weil sie sich um konkrete Projekte sorgen und etwa sagen: Ich will nicht, dass der Spielplatz in unserem Viertel den Bach hinuntergeht, weil kein öffentliches Geld mehr da ist."

Brauns Untersuchung ergab nicht nur, dass sich in den vergangenen Jahren immer mehr Freiwillige in Deutschland engagieren, vor allem Gebildetere und besser Verdienende. Er zeigte auch, dass sich das Ehrenamt gewandelt hat.

Weniger Bindung

Früher galt: Wer einmal im Verein eine Aufgabe übernommen hat, wird sie ein Leben lang nicht mehr los, auch wenn sie ihm schon zum Hals heraushängt. Imagefördernd war das oft nicht. Heute binden sich vor allem junge Leute weniger lange. Sie suchen lieber kurzfristigere Aufgaben und kümmern sich dabei um konkrete Lösungen. "Diese haben oft mit ihren biografischen Erfahrungen und individuellen Zukunftsplanungen zu tun", meint Braun.

Grafiker betreuen etwa ehrenamtlich die Homepage eines Vereins, Sportbegeisterte bringen Kinder zum Volleyballspielen. Davon profitieren sie selbst - wenn schon nicht finanziell, dann ideell. Die Studie der AMB Generali zeigte übrigens, dass Ehrenamt nicht überall in Deutschland gleich ernst genommen wird: Am Land tut sich mehr als in der Stadt. Dort ist die soziale Kontrolle auch größer: Sich nicht zu engagieren fällt am Land stärker auf als in der Großstadt, wo viele Menschen nicht wissen, was ihre Nachbarn in ihrer Freizeit so treiben. (Birgit Baumann aus Berlin/DER STANDARD-Printausgabe, 21.3.2009)