Wien - Als eine "sehr gute Sache" bezeichnete der aus der Schweiz stammende Forscher Meinrad Busslinger, Senior Scientist am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien, die von der Bioethikkommission abgegebene Empfehlung einer Liberalisierung der Embryonenforschung. Mit einer "klaren Regelung und Rechtssicherheit" sei es auch vorstellbar, dass mit humanen embryonalen Stammzellen (ES) arbeitende Wissenschafter "nach Österreich rekrutiert werden können", so der Wittgensteinpreisträger 2001. 

Signalwirkung

Bisher habe es von offizieller Seite her häufig geheißen, dass Embryonenforschung in Österreich nicht möglich sei, "was nicht wahr ist". "Der Zustand, dass die Forscher nicht wissen, was erlaubt oder nicht erlaubt ist, muss mal weg", so der Molekularbiologe. Auch trage ein solcher Zustand international zu keinem guten Image bei. Für Busslinger geht es derzeit bei der Embryonenforschung vor allem um die Frage, wie man humane ES "in wohldefinierte Zelltypen ausdifferenzieren kann". Der Weg zur kontrollierten medizinischen Anwendung "ist noch ein steiniger", ihr therapeutischer Einsatz noch weit weg.

Eine Liberalisierung der ES-Forschung und ein klareres Gesetz hätte für Busslinger nicht nur Signalwirkung nach außen, sondern auch nach innen: Haben Wissenschafter eine gute Forschungsfrage, der mit ES-Forschung nachzugehen ist, würde diese künftig vielleicht auch eher umgesetzt. So stünden dann etwa auch die ES leichter zur Verfügung. Busslinger selbst will allerdings nicht mehr mit der Forschung an humanen ES starten, er arbeitet "eher im Maus-System". Das erlaubt - im Gegensatz zu der Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen - auch, bei den Mäusen Experimente in-vitro und in-vivo zu kombinieren.

Zwei Positionspapiere

17 zu fünf ist die namentliche Abstimmung in der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt ausgegangen. In dem zweiteiligen Papier, das am Montag in Wien präsentiert wurde, spricht sich die Mehrheit dafür aus, dass bei der Befruchtung außerhalb des Mutterleibes (IVF) anfallende Embryonen in Zukunft für die Herstellung von embryonalen Stammzellen für die Forschung herangezogen werden dürfen (Position A). Die Minderheit ist der Meinung, dass das "Verbot einer verbrauchenden Embryonenforschung" beizubehalten sei (Position B). Den genauen Wortlaut finden Sie auf der nächsten Seite.

Hahn will Graubereiche klären

Keine inhaltliche Bewertung nahm Wissenschaftsminister Johannes Hahn in einer ersten Reaktion vor. Er sprach sich dafür aus, "rasch die gesetzlichen Graubereiche zu klären und die Empfehlungen breit zu diskutieren". "Die Bio-Ethik Kommission hat gemäß ihrer empfehlenden Rolle eine Landkarte ausgerollt. Nun ist es an der Politik, zu bestimmen welchen Weg wir gehen und wie weit", so Hahn, der laut einer Aussendung eine abschließende Bewertung der Empfehlungen erst nach einer intensiven Debatte für sinnvoll erachtet.

Neben einer gesellschaftlich breit angelegten Diskussion rund um die Zukunft der Stammzellenforschung in Österreich, ist Hahn vor allem an einer klaren und einheitlichen juristischen Linie gelegen. Diese solle auch das Profil des Forschungsstandorts Österreich schärfen und therapeutisch erfolgversprechende Forschungsfelder fördern. Eine bereits in der vergangenen Legislaturperiode eingerichtete Plattform der befassten Ressorts (Justiz, Gesundheit und Wissenschaft) zu diesem Thema soll nach den Vorstellungen Hahns ihre Arbeit wieder aufnehmen.

Ablehnung

Das Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) forderte in einer Aussendung ein klares Verbot der embryonalen Stammzellforschung in Österreich. "Derzeit ist in Österreich die Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus Embryonen, die nach einer künstlichen Befruchtung 'übrig bleiben' durch das Fortpflanzungsmedizingesetz verboten. Und das soll auch so bleiben", hieß es. Es gebe "ethisch saubere und wissenschaftlich attraktive Alternativen" zur embryonalen Stammzellforschung, so etwa die induzierten pluripotenten Stammzellen und die adulten Stammzellen.

--> Position A und Position B im Wortlaut

Die Empfehlungen der Position A im Papier "Forschung an humanen embryonalen Stammzellen" der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt lauten im Wortlaut (17 Pro-Stimmen):

1. Die Bioethikkommission erachtet die Forschung an embryonalen Stammzellen für wissenschaftlich relevant, moralisch grundsätzlich legitim und förderungswürdig.

2. Die bestehende österreichische Rechtslage wird der Bedeutung dieses Forschungszweigs nicht gerecht. Zum einen wird die Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus überzähligen Embryonen gänzlich verboten. Zum anderen bestehen auch hinsichtlich jener Verhaltensweisen, die nicht verboten und daher zulässig sind (Forschung an pluripotenten embryonalen Stammzellen, Import von embryonalen Stammzellen aus dem Ausland, Zellkerntransfer) unterschiedliche Rechtsauffassungen, die der Rechtssicherheit abträglich sind.

3. Die Bioethikkommission empfiehlt daher, entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um neben der Forschung an adulten Stammzellen auch die gesundheitsbezogene wissenschaftliche Forschung an embryonalen Stammzellen in Österreich rechtlich klar abzusichern, besser zu fördern und zugleich wirksam zu kontrollieren. Insbesondere sollte das aus Paragraph 9 Absatz 1 Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) abgeleitete Verbot der Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus befruchteten Eizellen, die nicht mehr für die medizinisch unterstützte Fortpflanzung verwendet werden können oder dürfen ("überzählige Embryonen"), beseitigt und auf diese Weise die Herstellung von Stammzelllinien aus embryonalen Zellen in Österreich zu Zwecken der gesundheitsbezogenen Forschung ermöglicht werden.

4. Die Herstellung von befruchteten Eizellen für Forschungszwecke sollte verboten bleiben.

5. Die schon derzeit bestehenden rechtlichen Freiräume der Forschung an embryonalen Stammzellen und deren Import aus dem Ausland sollten nicht eingeschränkt werden, insbesondere auch nicht durch eine "Stichtagsregelung". Auch weitergehende Verbote in Bezug auf andere Techniken der Herstellung entwicklungsfähiger Zellen als durch Befruchtung (Zellkerntransfer, sog. therapeutisches Klonen, Bildung von Zybriden durch Transfer humaner Zellkerne in entkernte tierische Eizellen, sog. Reprogrammierung etc.) sind abzulehnen, sofern eine Implantation in den Körper einer Frau rechtlich ausgeschlossen wird.

6. Die freiwillige Einwilligung jener Personen, von denen die Keimzellen stammen, sollte als zwingende Voraussetzung für die Verwendung "überzähliger" Embryonen für gesundheitsbezogene Forschungszwecke verankert werden. Desgleichen bedarf eine Eizellspende für wissenschaftliche Zwecke der freiwilligen Einwilligung der Frau.

7. Forschungsvorhaben in Bezug auf embryonale Stammzellen sollten der Beurteilung durch eine speziell errichtete unabhängige und interdisziplinär zusammengesetzte Kommission unterliegen sowie in einem öffentlichen Register erfasst werden.

8. Obwohl eine Novellierung des FMedG auch im Hinblick auf andere Fragenkomplexe dringend geboten wäre (z. B. Verlängerung der Aufbewahrungsfristen für Keimzellen und in vitro befruchtete Eizellen in medizinisch indizierten Fällen, Präimplantationsdiagnose u. a. m.), erscheint das FMedG wegen dessen inhaltlicher Ausrichtung auf die medizinisch unterstützte Fortpflanzung nicht als systematisch tauglicher Ort für die Regelung der Forschung mit embryonalen Stammzellen. Es wird daher eine eigenständige gesetzliche Regelung empfohlen, entweder in Gestalt eines "Stammzellforschungsgesetzes" oder im Rahmen einer künftigen Neuregelung der medizinischen Forschung insgesamt.

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Die Empfehlungen der Position B im Papier "Forschung an humanen embryonalen Stammzellen" der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt lauten im Wortlaut (fünf Pro-Stimmen):

1. Das in der österreichischen Rechtsordnung enthaltene Verbot einer verbrauchenden Embryonenforschung ist beizubehalten. Falls der Gesetzgeber ein eigenes Forschungsgesetz beabsichtigt, sollte dieses Verbot ausdrücklich verankert werden.

2. Dasselbe gilt auch für das Verbot des sogenannten "therapeutischen" Klonens.

3. Der Gefahr eines weiteren Vorantreibens einer verbrauchenden Embryonenforschung könnte eine Stichtagsregelung (z. B. Stammzelllinien, die vor dem 1. Februar 2009 im Stammzellregister der EU eingetragen sind) im Sinne eines politischen Kompromisses entgegentreten. Ein solcher politischer Kompromiss würde aber die ethischen Gründe, die gegen einen Import von Stammzelllinien sprechen, nicht entkräften.

4. Die öffentliche Förderung der Stammzellforschung sollte sich auf die vielversprechenden, ethisch unbedenklichen Alternativen (z. B. adulte Stammzellen, iPS) konzentrieren. (APA)