Der junge Zilk bei den ORF-Stadtgesprächen Wien/Prag. "Es ist wichtig, ihn an schwere Aufgaben zu gewöhnen" , notierte sein Führungsoffizier.

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Helmut Zilk wollte immer "den Menschen helfen und die Völker zusammenbringen" . So sagte er vor 11 Jahren, als er erstmals mit dem Spionagevorwurf konfrontiert wurde. Es ist der Schlüsselsatz seines persönlichen und politischen Wesens und wohl auch die Erklärung für die Geheimdienstbredouille, in die er sich vor über 40 Jahren hineingeritten hat. Zilk wollte immer das eigentlich Unvereinbare doch irgendwie zusammenbringen - ja, zusammenzwingen. Er war der große All-Umarmer der Politik, nein, des gesamten öffentlichen Lebens. Er war ein gnadenloser Harmonisierer, vielleicht auch wegen der Beinahe-Katastrophen seiner Jugend: Sein Vater bewahrte den 17-Jährigen davor, in den letzten Kriegsmonaten noch freiwillig zur SS zu gehen. Gleich danach war er kurz in einer KP-Jugendorganisation. 

Als Wiener Bürgermeister suchte er etwa aufrichtig die Versöhnung mit Österreichs emigrierten Juden, knüpfte aktiv Kontakte zu Jerusalems legendärem Bürgermeister Teddy Kollek, versuchte aber mit äußerster Hartnäckigkeit eine Ehrung in Jerusalem für Hans Dichand durchzusetzen, in dessen Krone immer wieder massiv antisemitische Untertöne durchklangen. Als ihm die Briefbombe eines Ausländerhassers und Rechtsextremisten die Finger abriss (und ihn fast das Leben kostete), ließ er als beinahe Ersten Jörg Haider an sein Spitalsbett und gab ihm damit die politische Absolution, obwohl Haider kurz zuvor den Ausländerhass mit einem Volksbegehren angeheizt hatte. Harte Konfrontation sei nicht das Richtige für ein kleines Land mit dieser Geschichte, sagte er immer wieder. Er wusste auch um die Anziehungskraft Haiders auf die SP-Stammklientel.

Als 40-jähriger ORF-Journalist Mitte der Sechzigerjahre war er zwar ein ausgewiesener Anti-Kommunist, aber der Versuchung, mit den "Stadtgesprächen" Wien/Prag den Beton zwischen den Systemen aufzulockern, konnte er nicht widerstehen. Nur überschätzte er offenbar seine Möglichkeiten, und er unterschätzte die des KP-Apparats. Er wollte "die Völker zusammenbringen" und selbst dabei gut aussehen. Kein Zweifel, Zilk hat zwischen Mitte und Ende der Sechzigerjahre x-mal mit wechselnden "Führungsoffizieren" der Stasi der ČSSR bereitwilligst über Interna der österreichischen Politik geplaudert. Die Protokolle aus den tschechischen Archiven, die Herbert Lackner im profil veröffentlicht hat, sprechen eine ganz deutliche Sprache. Er mag sich gedacht haben, mit Vorleistungen könne man irgendetwas "lockern" . In Wahrheit zogen die KP-Geheimdienstler langsam, aber entschlossen die Schlinge zu. Da waren Frauengeschichten (jeder westliche Journalist, der sich im Ostblock aufhielt, kann von solchen Annäherungen berichten). Man bot ihm bald Geld an - und er hat es offensichtlich genommen. Warum? "Der menschliche Faktor" heißt ein Geheimdienstroman von Großmeister Graham Greene. 

Natürlich waren es meist Banalitäten, die Zilk seinen Kontaktleuten erzählte, und sie wollten auch Substanzielleres: "H. muss sich gewissenhafter auf die Treffen vorbereiten. Es ist wichtig, ihn an schwerere Aufgaben zu gewöhnen" , lautet ein Aktenvermerk vom 21.1.1967. Die Schraube sollte offenbar angezogen werden, aber Zilk hatte Glück: 1968 kam der "Prager Frühling" , und nach dem Einmarsch der Sowjets setzten sich seine Führungsoffiziere in den Westen ab.
Wer dann mit Helmut Zilk zu Zeiten der großen "Wende" 1989/90 in Prag und Bratislava unterwegs war, sah einen blitzschnell denkenden Politiker, der die Opportunitäten erkannte (er flog mit dem Privatflugzeug eines Unternehmers, der heute eine große Position in den ex-kommunistischen Ländern hat) und der gleichzeitig ehrlich glücklich schien über die unerwartete Wende der Dinge zur Freiheit (und wer die Massen der Demonstranten auf dem Wenzelsplatz in Prag gesehen hat, der weiß, wie diese Freiheit ersehnt wurde). Zilk hat den Helden der samtenen Revolution, Václav Havel, damals regelrecht überfallen. Der künftige Präsident wirkte vom plötzlichen Besucher etwas überrumpelt und schrieb auf eines der bereits allgegenwärtigen "Havel na Hrad" (Havel auf die Burg)-Plakate ein "thank you" mit Herz.

Zilk konnte unendlich berührend und dann wieder entsetzlich peinlich sein. In Bratislava hielt er den erbleichenden Noch-Herrschern der KP eine Rede mit Lenin-, Stalin- und Goebbels(!)-Zitaten. Aber er war knapp vor der Wende der Erste dort. Wie geht das zusammen? Kooperation mit dem kommunistischen Geheimdienst in den Sechzigern, dann 20 Jahre später die Unterstützung der Demokratiebewegung? (1991 unterstützte er in Ljubljana auch die Loslösung Sloweniens von Jugoslawien). Für Zilk war das offenbar kein Widerspruch. Im Gegenteil, er konnte sich anrechnen, die möglicherweise noch gefährdete Demokratiebewegung gefördert zu haben. Dass in den Stasi-Archiven seine Akte schlummerte, hat Helmut Zilk wohl einfach verdrängt. (Hans Rauscher/ DER STANDARD-Printausgabe, 24. März 2009)