Der Essayist und Kulturpublizist Franz Schandl, in jungen Jahren beim damaligen KP-Organ "Volksstimme" beschäftigt, hat aus seinen Archivbeständen einen seiner Beiträge fürs Blatt ausgegraben ("Ein Spion namens Helmut?" , 12. 11. 1998) und "aus aktuellem Anlass" auf seine Website gestellt. Gute Idee. Hier ein Auszug:

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Wien hat wieder einmal eine Affäre. War der sozialdemokratische Ex-Bürgermeister der Bundeshauptstadt, Helmut Zilk, nun ein kommunistischer Spitzel oder nicht?
Laut Meldungen aus Prag soll Zilk von 1953-1966 bezahlter Informant des CSSR-Geheimdienstes gewesen sein. Allerdings sind die Quellen mehr als dubios, kommt die Auskunft doch von Vaclav Benda, bis vor einem Jahr Direktor des "Amtes für Dokumentation der Verbrechen des Kommunismus" . Der ranghöchste offizielle Kommunistenjäger an der Moldau stand stets für einen fanatischen und rigorosen Antikommunismus der bürgerlicher Siegerjustiz.

Jeder weiß freilich, vor allem nach dem Ende der DDR, wie schnell man zum Agenten werden kann. Bei Zilk stellt sich allerdings die Frage: Cui bono? Dass es sich um einen rein innertschechischen Konflikt handelt, bei dem Zilk zufällig zum Handkuss kommt, ist zwar nicht ganz ausgeschlossen, aber eher unwahrscheinlich. Auch wenn Zilk nicht Ziel, sondern Mittel eines solchen Zwists geworden ist, ist die Sache somit nicht vom Tisch. Wird weiters eine primitive Revanche eines persönlichen Zilk-Feindes ausgeschlossen, dann fällt einem eigentlich überhaupt kein rationaler Grund ein, warum ausgerechnet Wiens ehemaliger Bürgermeister, ein Freund und Förderer aller östlichen Freiheitskrieger, diskreditiert werden sollte.

Überhaupt: Was ist so schlimm an der Spionage, wo es doch alle tun? Aufgabe westlicher wie östlicher Geheimdienste ist immer gewesen, Leute anzuwerben, um an Informationen zu kommen, die jene nicht hatten. Es ist schon sonderbar: Das ordinäre Tauschgeschäft wird zu einem Verbrechen, wenn es sich um Interessen von Staaten handelt. Was ansonsten obligat ist, wird auf einmal kriminell. Landesverrat ist nur möglich, wo der nationale Imperativ staatsbürgerliche Pflicht ist. Dass zwischen bösen Ostspionen und guten Westspionen, sogenannten "Agenten der Demokratie" unterschieden wird, braucht wohl nicht extra erwähnt zu werden. Sollte Zilk getan haben, was ihm angekreidet wird, dann ist sein Fall als nicht außergewöhnliches Phänomen des Kalten Krieges einerseits bzw. als Durchgangsstadium einer vom Stalinismus zum Antikommunismus marschierenden Person andererseits einzustufen ... (Franz Schandl/DER STANDARD-Printausgabe, 24. März 2009)