Im sonntägigen ORF-Talk zum Thema Zilk saß auch ein Beobachter der "Süddeutschen Zeitung" in der Runde, kam aber vergleichsweise nur selten zu Wort. Wir baten ihn um ein paar vertiefende Anmerkungen.

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Es ist wie bei den Heiligsprechungen in der katholischen Kirche: Es kommt nicht darauf an, ob jemand heiligmäßig gewandelt ist auf Erden; bedeutsam ist nur, dass die Gemeinde in einem Menschen den Heiligen erkennen will. Sein hiesiges Dasein wird sich danach schon interpretieren lassen. Die Kanonisierung des Helmut Zilk ins Walhall des Guten und Unbezweifelbaren hat längst schon zu seinen Lebzeiten stattgehabt. Aus guten Gründen: Selten hat ein Mann mit derart populistischem Instinkt seine Wirkung auf Menschen und Massen so konstruktiv, ja manchmal aufklärerisch genutzt, was populistischer Absicht eigentlich entgegensteht. Der sogar ein Mordattentat zum spektakulären Lehrstück zu machen wusste.

Der Journalist und Politiker Zilk, auf beiden Gebieten eine Sonderbegabung sondergleichen, hatte seit je den Status - symbolhaft - eines heiligen Trinkers: Immer als Filou bekannt gewesen, immer mal schmerzhafte Grobheiten ausgeteilt, immer mal geschwindelt, immer mal Intrigen gesponnen, immer mal so ins Menschenleben gegriffen, dass das Lust- und Schmerzensgetön auch öffentlich kaum mehr überhörbar war - einem Manne vom Charisma eines Zilk gerät alles zum Nimbus, zum mythologischen Ingrediens einer einmaligen Persönlichkeit, wo andere längst abgeurteilt würden.

So darf nicht verwundern, dass Helmut Zilk zum nationalen Heiligtum avancierte, obwohl die Spionageangelegenheit, die die Süddeutsche Zeitung schon vor zehn Jahren an den Tag brachte, ungeklärt geblieben ist. Zilk halfen dabei Segen und Absolution eines anderen Heiligen, der, noch immer auf Erden wandelnd, längst in eine olympische Aura entrückt scheint: Václav Havel, der große Freiheitskämpfer und Präsident aus Prag, hat noch an Zilks Grab eine Entschuldigung für Anwürfe ausgesprochen, die in Wahrheit nie ausgeräumt worden waren, die sich jetzt in einer fast bestürzenden Weise als gravierende Sünden der frühen Jahre bestätigen.

Václav Havel ist aufgrund jahrzehntelanger Verfolgung durch Geheimpolizei und politische Sittenwächter nicht weiter zu verübeln, dass er beinahe jeden Eintrag in einem Akt für falsch oder zumindest irreführend hält, der je von den Bütteln eines totalitären Regimes angelegt wurde. "Helmut Zilk, Spion" ist sicherlich sehr hoch gegriffen. Denn Spione verhökern Geheimnisse, Zilk schwatzte mit tschechischen Agenten über Banalitäten, die jene allerdings nicht als solche einzuschätzen wussten. Helmut Zilk, der Schlawiner, der allzu oft auch ungefragt allzu vielen allzu viel erzählt hat, der sich mehr hofieren und bedienen ließ und eine offenere Hand hatte, als seinem Amt oder journalistischem Impetus angemessen war, ist die milde Deutung.

Doch sieh: Einmal heilig, immer heilig. Das Vorgehen der österreichischen Behörden nach dem Herbst 1998, als die Affäre Zilk das erste Mal hochging, war nicht das des Ermittelns, sondern des Rehabilitierens:

Da sollte nichts geklärt, sondern alles widerlegt werden. In einer Gesellschaft, die wie die österreichische eine so unbändige, düstere Lust an Gemeinheit und Niedertracht pflegt, die das Böse als Unterhaltungsprogramm liebt, braucht auch ihren Ausgleich. Helmut Zilk war so ein Guter, der dem Bösen standhalten konnte, weil er die unglaubliche Begabung hatte, auch als edler Ritter ebenso unterhaltsam zu sein, was sonst nur die Übeltäter zustandebringen. Die Edlen sind üblicherweise die Langweiler. Um so schmerzhafter, dass der Gutmensch als Popstar, der Wohltäter als Unterhaltungskünstler, dann doch ein abgefeimter Schlawiner gewesen ist. Und sei dies noch so lange her. Das sei "pietätlos", dem Toten solches vorzuwerfen, spricht inniglich die halbe Nation dem Bundeskanzler nach. Selten hat ein Politiker so wahr gesprochen: Er beweist lebendig, dass es so ist, wie bei der Kirche mit Heiligsprechungen. Dass die guten Taten des Helmut Zilk dennoch immer gute Taten bleiben werden, wer wollte das bestreiten. (Michael Frank/DER STANDARD Printausgabe, 24. März 2009)