Der Fall Josef F. hat die vergangenen Wochen die Öffentlichkeit in Atem gehalten - solche Fälle seien aber immer nur "die Spitze des Eisberges", so Martina Fasslabend, Geschäftsführerin des Vereins "die möwe" bei einer Pressekonferenz am Dienstag in Wien. Der öffentliche Diskurs und die Bemühungen nach Aufklärung in den vergangenen Jahren haben das Bewusstsein für Missbrauch in der Öffentlichkeit steigen lassen, zeigte eine Umfrage des Karmasin-Instituts. Erschreckend: Rund ein Drittel hat im Verdachtsmoment nicht reagiert.

Vermutete man vor Jahren noch die Täter unter Fremden, ist die Tatsache, dass Verdächtige meist aus dem Nahbereich stammen, stärker ins Bewusstsein der Menschen gerückt: Zwar vermuten noch immer 54 Prozent Kindesmissbrauch an öffentlichen Orten, an denen Kinder leicht Opfer von Fremden werden können, 74 Prozent allerdings bereits im größeren Familienverband, 59 Prozent im Bekanntenkreis der Eltern und 55 Prozent in der Kernfamilie.

Fünf Prozent der Befragten gaben an, selbst schon einmal Missbrauch erlebt zu haben, weitere sechs Prozent gaben an, nicht darüber sprechen zu wollen: "was durchaus auch als ja zu bewerten ist - also haben fünf bis elf Prozent schon einmal Missbrauch erfahren", so Sophie Karmasin, Geschäftsführerin des Instituts. Rund vier Fünftel der Betroffenen sind Mädchen, der Rest Buben, sagte die fachliche "möwe"-Leiterin Hedwig Wölfl.

Viele schauen noch immer weg

Elf Prozent der Österreicher hatten schon einmal Verdacht auf Kindesmissbrauch: Davon gaben mehr als die Hälfte an, zu Jugendamt, Polizei, einem Familienmitglied oder Freund des Betroffenen Kontakt aufgenommen zu haben. 27 Prozent aber haben gar nichts unternommen. Hier sei Aufklärung notwendig: "Unser Eindruck ist, dass noch immer zu viele Menschen wegschauen", meinte Wölfl. Auch müssten Anlaufstellen wie Kinderschutzzentren in der Öffentlichkeit noch besser bekanntgemacht werden.

Prävention sollte nach Meinung der Österreicher früh beginnen - für 51 Prozent bereits im Kindergarten und 66 Prozent in der Volksschule. Als Präventionsmaßnahmen forderten über 80 Prozent Schulungen von Lehrern, Kindergärtnern u. ä..Den seit Jahren immer wieder geforderten Elternführerschein als Prävention hielten 21 Prozent für sinnvoll.

Was unter Missbrauch fällt

Unter Missbrauch verstehen übrigens 85 bis 98 Prozent der Österreicher alle geschlechtlichen Handlungen mit und vor Kindern. Befragt wurden 1.000 Personen ab 14. Jahren im Februar und März 2009.

"die möwe" gibt übrigens Präventionsworkshops in Kindergärten und Schulen: Die Seminarteile mit Eltern und Lehrern würden bezahlt, das Programm mit den Kindern müssten aus Spenden finanziert werden, berichtete Fasslabend. Rund 80 Schulen habe man im Vorjahr betreut - besonders nach der medialen Berichterstattung zum Fall Josef F. seien die Anfragen seitens Schulen und Kindergärten nach dem Angebot massiv gestiegen: Hier sei auch die Politik gefragt. (APA)