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Besonders beliebt bei der ärmeren Bevölkerungsschicht, Feindbild für die Säkularen: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan (AKP) polarisiert wie kein Regierungschef vor ihm

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Zwar wird in Ankara und Istanbul erwartet, dass die Bürgermeistersessel weiter von der AKP besetzt werden, doch kann die CHP unter Deniz Baykal in beiden Fällen mit Zugewinnen rechnen

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Ankara/Wien - An einem Sieg der regierenden gemäßigt-islamischen Regierungspartei AKP bei den türkischen Kommunalwahlen am kommenden Sonntag (29. März) besteht kein Zweifel. Der Einsatz der Politiker für den landesweiten Urnengang ist gewaltig, das allgemeine Interesse der Öffentlichkeit am Kampf um die Bürgermeisterämter kaum vergleichbar mit einem anderen Land in Europa. Dem schon seit Monaten dauernden Wahlkampf wird alles untergeordnet - ob nun ein Kurdisch-Programm im staatlichen Sender TRT installiert wird und der Regierungschef dort gar einen kurdischen Satz sagt, oder ob die Europa-Politik mit den unbequemen Brüsseler Forderungen aus innenpolitischem Kalkül möglichst tot geschwiegen wird.

Die Auftritte der Parteichefs der beiden ideologischen Kontrahenten - der gemäßigt islamischen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und der säkularen Republikanischen Volkspartei (CHP) unter Deniz Baykal - bei Großkundgebungen in Ankara am vergangenen Wochenende zeigten deutlich, dass es vielen Bürgern um eine politische Richtungswahl geht und nicht um ein Votum für einzelne Bürgermeister. Im oppositionellen Lager ist es nicht immer Sympathie für den Oppositionschef, die Wähler zur CHP treibt. Im Gegenteil, in der aufgeklärten Mittelschicht fordern viele Baykals Abgang. Ein Student, zitiert in der Presse, formuliert es so: "Baykal soll abtreten. Von ihm erwarte ich nichts. Ich gebe meine Stimme für die Partei des Gründers der modernen Türkei, Atatürk, daher wähle ich die CHP."

Dauerfehde

Die Polarisierung ist offenkundig. Und Ministerpräsident Erdogan polarisiert wie kein Regierungschef vor ihm, mit polterndem Auftreten, mit undiplomatischen Aussagen. Damit kommt er bei seinen Wählern an, für die Säkularen hingegen ist er geradezu ein Feindbild. Immer wieder wurde in der türkischen Presse festgestellt, der typische "Schwarzmeer-Dickkopf" Erdogan höre nicht auf seine Berater. Als Korrektiv fehle ihm Abdullah Gül, der ihn früher eingebremst habe. Während Gül heute als Staatspräsident in der Außenpolitik - siehe Nachbarschaftspolitik - Punkte sammelt, konterkariert Erdogan dies oft mit populistischen innenpolitischen Aktionen.

Gerade vor den Wahlen interessiert den AKP-Chef nicht, was Brüssel von der Türkei verlangt. Seine Klientel, die kleinen Leute, wollen von der EU ohnehin nichts wissen. Wahlkampf-Geschenke der AKP an die armen Bevölkerungsschichten verfehlen ihre Wirkung nicht. Der (AKP)- Justizminister hatte nichts dagegen einzuwenden, dass die Regierungspartei Kohle und Kühlschränke verschenkt. Zeitungen aus dem Medienkonzern von Aydin Dogan, der mit Erdogan in einer Dauerfehde lebt, zitierten entsprechende Wortmeldungen von Teilnehmern an der Massenveranstaltung mit Erdogan in Ankara. "Er ist unser Vater. Er hilft den Armen. Wir bekommen Kohle und Nahrungsmittelhilfe", sagt eine Frau laut "Hürriyet Daily News". Ein junger Arbeitsloser stößt ins gleiche Horn: "Wir können nur dank der Gemeinde-Hilfe überleben, Ich wähle die Partei, die uns Essen gibt."

Kampf und Ankara und Istanbul

Mit besonderem Interesse wird die Entwicklung in den großen Städten des Landes verfolgt, wo im Wahlkampf harte Sträuße zwischen Erdogans frommer AKP und den Anhängern von Oppositionsführer Baykal, dessen Partei sich dem sozialdemokratischen Lager zurechnet, ausgefochten wurden. Zwar wird sowohl in der Hauptstadt Ankara als auch in der Bosporus-Metropole Istanbul erwartet, dass die Bürgermeistersessel weiter von der AKP besetzt werden, doch kann die CHP in beiden Fällen mit Zugewinnen rechnen. Auch die rechts-nationalistische MHP dürfte laut Medienberichten am Sonntag besser abschneiden als bei den letzten Kommunalwahlen 2004.

2004 war der AKP-Kandidat Melih Gökcek mit 55 Prozent der Stimmen in das Rathaus von Ankara eingezogen. Ein solches Traumergebnis wird sich wohl nicht wiederholen lassen. Sein Herausforderer Murat Karayalcin, gemeinsamer Kandidat der Sozialdemokratischen SHP und der CHP, ein ehemaliger türkischer Außenminister, dürfte Gökcek dieses Mal ein beträchtliches Maß an Stimmen abnehmen. Dabei spielt auch mit, dass der AKP-Oberbürgermeister laut Umfragen in Fernsehdiskussion ziemlich schlecht abgeschnitten hat.

AKP-Sieg erwartet

Istanbul gilt als Gradmesser für die Zukunft der AKP. Dass das Ergebnis der Kommunalwahlen von enormer Tragweite ist, besagt der Ausspruch eines Geschäftsmannes über die Bosporus-Metropole: "Wenn sie das Rathaus von Istanbul verlieren, bedeutet das den Anfang vom Ende der AKP." So wie er denken viele. Die säkularen Gegner führen dabei ins Treffen, dass die islamische Regierungspartei ohne das "Schwarzgeld" aus Istanbul ihren teuren Wahlkampf nicht finanzieren könnte. Das Geld für die Gratis-Kohle, Laptops und -Kühlschränke, die von der AKP an arme Familien verteilt werden, komme aus eben diesen schwarzen Kassen.

Dennoch wird am Sieg des regierenden AKP-Bürgermeisters Kadir Topbas nicht zu rütteln sein. Auch für Erdogan war das Rathaus von Istanbul das Sprungbrett zum Partei- und Regierungschef gewesen. 2004 erzielte Erdogans heutiger Mann am Bosporus 45 Prozent der Stimmen, auf seinen damaligen CHP-Herausforderer entfielen knappe 30 Prozent. Im laufenden Wahlkampf hat der CHP-Kandidat Kemal Kilicdaroglu ziemlich erfolgreich auf das Thema Kampf gegen die Korruption gesetzt und damit die regierende AKP ins Visier genommen, doch für mehr als einen Achtungserfolg wird es für die Opposition wohl nicht reichen.

Nur die moderne Hafen- und Industriestadt Izmir bleibt voraussichtlich in der Hand der "Säkularen": Aziz Kocaoglu von der CHP bleibt klarer Favorit, obwohl er sich jüngst starker Kritik im Zusammenhang mit der Wasserversorgung ausgesetzt sah. Die AKP tritt wieder mit Taha Aksoy an, der schon 2004 klar geschlagen wurde. In der Mittelmeer-Stadt Antalya zeichnet sich ein knappes Rennen um das Bürgermeisteramt ab. Der AKP-Mann hat laut Umfragen die Nase knapp vorn - in der Heimatstadt des heute auch von vielen Parteigängern ungeliebten Baykal. (Von Hermine Schreiberhuber/APA)