Wien - Ganz gemäß dem bei einer im Dezember 2008 durchgeführten Studie festgestellten "Harmoniedenken" der Österreicher in Sachen Evolution und Schöpfung entwickelte sich auch eine Experten-Diskussion Dienstag Abend in Wien. Die Veranstaltung fand im Rahmen der vom Wissenschaftsministerium initiierten "Woche des Wissens & Forschens" (noch bis 28.3.) statt - Tenor: Der Streit zwischen Kirche und Darwinisten sei überflüssig. Darwin habe "nirgendwo bestritten, dass es einen Schöpfer gibt" erkärte etwa Darwin-Biograf Jürgen Neffe - doch habe er "uns oder unsere Vorfahren ein wenig von der wörtlichen Leseart der Bibel befreit".

Der Begründer der Evolutionstheorie "hat uns geholfen, die Bibel modern metaphorisch zu lesen", so der deutsche Wissenschaftsjournalist, dessen 2008 erschienenes Buch "Darwin" jüngst in Österreich zum "Wissenschaftsbuch des Jahres" in der Kategorie Medizin & Biologie gekürt wurde. Die Bibel kann man Neffe zufolge "kongruent" zu den Naturwissenschaften bringen. Darwin habe gemeint, dass Gott etwas viel höheres darstelle - dass der Schöpfer nicht einzelne Arten in die Welt setzt, aber das Prinzip der Welt erschaffen habe, in dem alle Naturgesetze integriert sind. Auch die anglikanische Kirche habe damals schnell gemerkt, dass man auch mit Darwin weiter an einen Schöpfer glauben kann: "Der Stein, den er ins Wasser geschmissen hat, 1859 (Erscheinungsjahr seines Werkes "Über die Entstehung der Arten", Anm.), hat gar nicht so gespritzt, wie wir heute alle immer glauben."

Die Sinnfrage

Einen Konflikt ortet Regina Polak vom Institut für praktische Theologie der Uni Wien dort, wo man darüber streitet, "wer den Deuteprimat über die Wirklichkeit hat". Das sei ein nicht angemessener Streit. Die Schöpfungstheologie und Evolutionstheorie seien "zwei verschiedene Sprachformen und auch Denkformen". Erstere frage danach, ob es einen Sinn in der Geschichte gibt und "ob das, was geworden ist, eine Bedeutung hat und ob es ein Ziel gibt". Darwin habe in eine andere Richtung nachgedacht. Man müsse sich überlegen, welche Wissenschaft welchen Beitrag zu welchen Fragen leisten kann. "Die Theologie und Kirchen können unmöglich biologische Fragen beantworten, die Naturwissenschaften können, wenn sie redlich sind, keine politischen Ansprüche stellen - auch wenn das immer wieder passiert ist."

"Man gerät sich über Darwin in die Haare. Wenn man ihn angreift, dann meint man eigentlich die Darwinisten. Die Neodarwinisten haben sein Erklärungsmodell puristisch so ins Extrem gesteigert, dass es heute vor der modernen Molekularbiologie gar nicht standhalten kann", meinte Bernd Lötsch, Direktor des Naturhistorischen Museums (NHM) in Wien. Für die Kritik kirchlicher Kreise am Neodarwinismus hat Lötsch teilweise Verständnis: "Denn dieses völlig zufällige Spiel, dieses Würfelspiel von Zufall und Wirkung allein genügt auch vielen reifenden Biologen nicht mehr."

Biologie und Kultur sind nicht gleichzusetzen

Einen großen Verdienst Darwins sieht Neffe darin, dass er "uns eine Antwort gegeben hat, woher wir kommen". Die Evolution sei dabei ein sehr brutaler Prozess. Es werde immer zu viel Nachwuchs produziert und geschaut, was sich durchsetzt. "Um eine Eigenschaft zu entwicklen, braucht es aber viele Generationen." Gesellschaftliche Prozesse unterscheiden sich davon: "Wenn wir miteinander über Sozialdarwinismus, Rassismus, Kapitalismus, Gerechtigkeit, Religion reden - das sind menschliche Eigenschaften, die mit biologischer Evolution höchstens noch marginal zu tun haben." Eine Erfindung könne sich etwa rasend schnell verbreiten, auch innerhalb einer Generation. Die Evolution sei "ziellos, blind, gleichgültig", die kulturelle Evolution mache hingegen das Lernen aus: "Wir wenden Wissen an auf Zukunftsplanung. Unsere Evolution ist gezielt". (APA/red)