Es war schon vor längerer Zeit. Im Winter. Da wunderte sich H. Denn auch wenn er betont, dass er es gut und fein findet, wenn es jungen Eltern grundsätzlich nicht verunmöglicht wird, bei allen möglichen Freizeitaktivitäten ihre Kinder mit dabei zu haben, gäbe es doch Situationen und Umfelder, in denen es ein wenig bizarr oder egozentrisch sei, von der Umwelt kleinkindgerechtes Verhalten einzufordern. Aber weil sich H. da eben doch nicht so sicher ist, schrieb er sein Erlebnis nieder - und stellt es hiermit hier als Gastautor zur Diskussion
H schreibt
„Werter R!
Ich möchte Ihnen eine kurze (natürlich wahre) Geschichte berichten. Sie ist harmlos, aber skurril.
Jeden Dienstag im Februar hatte die Wiener Partygemeinde Gelegenheit, ein neues "After-work-Clubbing" im Burggarten zu besuchen. Dieses Clubbing dauert von 18 - 24 Uhr und nicht länger. Der Eintritt beträgt stolze 14 Euronen. Als Sponsor tritt ein Wodkahersteller auf, als Medienpartner ein Magazin."
„Das Magazin veranstaltete ein Gewinnspiel, bei dem eine Person den freien Eintritt zum Clubbing gewinnen konnte. Gewonnen hat eine junge Frau, die auch pünktlich um 18 Uhr ihren Gewinn einlöste und die Räumlichkeiten des Palmenhauses betrat. In Begleitung ihres Kindes, dessen Geschlecht ich nicht beurteilen kann, da Babys angezogen sich wenig voneinander unterscheiden."
Stillen
„Also schob die Gewinnerin ihren Kinderwagen an den Rand der Tanzfläche, setzte sich nieder, hob den Säugling nach ein paar Minuten aus dem Wagen um ihn zu füttern, sprich zu stillen. Nach einiger Zeit legte sie ihn wieder zurück und scheinbar war sie mit dem Ergebnis seiner Nahrungsaufnahme nicht ganz zufrieden, oder war sie um seinen Schlaf besorgt, jedenfalls ging sie zum DJ, um ihn aufzufordern die Lautstärke der Musik zu drosseln."
„Der DJ ging auch auf ihren Wunsch ein, die Musik spielte leiser und auch die Nummern die er auflegte waren nun etwas ruhiger als zu Beginn.
Nach zehn bis 15 Minuten fiel das auch der Veranstalterin auf, die dem Dj daraufhin klar machte, dass er hier für Partystimmung zu sorgen hat, und nicht für Hintergrundberieselung. Daraufhin ging musikalisch wieder "die Post ab".
Beschwerde
„Inzwischen war auch der Freund, Kindesvater, Ehemann, was weiß ich, der Gewinnerin eingetroffen und amüsierte sich mit den anderen Gästen des Clubbings. Die Frau nahm ihren Kinderwagen und verließ das Lokal ohne den Mann. 15-20 Minuten später stand der Wachtmeister(?) des benachbarten Polizeiwachzimmers Goethegasse am Tresen und berichtete, dass er einen anonymen Anruf erhalten habe, dass im Palmenhaus die Musik zu laut wäre. Die Frage, ob dieser Anruf von einer weiblichen Person kam, bejahte er."
„Zu einer Amtshandlung kam es nicht, da aufgrund der exponierten, nachbarsfreien Lage des Lokals die Musik aus dem Palmenhaus noch nie zu Anrainerbeschwerden geführt hat. Und sich die Anwesenden ja alle freiwillig der Musik - oder von mir aus auch - dem Lärm aussetzten."
„Und die Moral von der Geschicht? Da bin ich mir nicht so sicher. Ich, der in der Gastronomie arbeitet, habe natürlich schon die verschiedensten Erlebnisse mit kürzlich entbunden habenden Frauen in Lokalen gehabt, und ich vermeide es tunlichst zu pauschalieren, oder alle über einen Kamm zu scheren. Ich bin selbst Vater von zwei Kindern, war 11 Monate im Vaterkarenz und auch mit Kinderwagen Gast in Lokalen - aber so etwas wäre mir nie eingefallen."
„Mit freundlichen Grüßen
H."
(derStandard.at, 25. März 2009)