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Ahoi – und fort nach Afrika: Vom japanischen Hafen Kure fuhren zwei Zerstörer mit 400 Mann Besatzung Richtung Somalia. Es ist der erste Auslandseinsatz der Marine.

Foto: APA/EPA/Robichon

Der Professor ist nicht zufrieden, ganz und gar nicht zufrieden. "Man bindet sich die Hände" , sagt er und rührt lustlos in seinem Fruchtcocktail. Seit Jahren schreibt Masamori Sase gegen die Verfassung an und den Konsens in der japanischen Gesellschaft, das Land auf keinen Fall in eine kriegerische Auseinandersetzung hineinzuziehen. Jetzt hat die Regierung erstmals zwei Zerstörer zur Küste vor Somalia losgeschickt, auf eine in der Praxis außerordentlich schwierige Mission, wo die Marinesoldaten nur japanische Frachter eskortieren und sich einzig in Notwehr gegen somalische Piraten verteidigen sollen.

Ein Polizeieinsatz sei das, kein Militäreinsatz, erklärt Sase, ein eleganter älterer Herr, der in Westberlin Sicherheitspolitik studierte, als die Mauer aufgebaut wurde. "Zwei zaghafte Riesen" lautete später der Titel eines Buchs über die Außenpolitik Japans und Deutschlands, das er gemeinsam mit dem Historiker Arnulf Baring schrieb. Nun sitzt Professor Sase in der enorm großen und enorm luxuriösen Lounge des Hotel "Imperial" in Tokio, einer globalen Durchgangshalle, und hadert mit der Kleinheit der japanischen Politik. "Wir reden noch über Somalia, alle anderen denken schon an Afghanistan und Pakistan."

Wahrscheinlich tut der 74-Jährige seiner Regierung ein wenig unrecht. Denn nach und nach hat Japan in den vergangenen Jahren den Spielraum seiner "Selbstverteidigungskräfte" auf der internationalen Bühne ausgeweitet, Soldaten zu Aufbauarbeiten im Irak stationiert und Kriegsschiffe der USA und anderer verbündeter Staaten im Indischen Ozean betankt. Somalia ist nun der erste Auslandseinsatz der japanischen Marine seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in Afghanistan zahlt Japan einen bedeutenden Teil der Ausbildung der Polizisten, Mitte April organisiert Tokio eine Geberkonferenz für Pakistan. "Ich glaube, es ist wichtiger, zu sehen, was wir global erreichen, und nicht nur auf die regionalen Gegebenheiten zu blicken" , sagt ein Vertreter des Außenministeriums selbstbewusst und bürstet die Kritik der Medien und ausländischer Beobachter ab an der "Reformmüdigkeit" und "wachsenden Irrelevanz" Japans angesichts des großen chinesischen Nachbars.

Ein Granitblock

Und doch steht der Artikel 9 der japanischen Verfassung weiter wie ein Granitblock in der politischen Debatte des Landes. "Das japanische Volk entsagt für immer dem Krieg als souveränem Recht der Nation und der Androhung von Gewalt als Mittel zur Entscheidung internationaler Streitigkeiten", heißt es dort, "Land-, See- und Luftstreitkräfte so wie anderes Kriegspotenzial werden niemals aufrechterhalten" . Sase, der einer Kommission zur Verfassungsänderung des früheren Premiers Shinzo Abe angehörte, hat es aufgegeben. Vor zwei Jahren sei er noch relativ optimistisch gewesen, sagt er, doch im derzeitigen innenpolitischen Durcheinander und mit der Aussicht auf eine historische Regierungsübernahme durch die oppositionelle Demokratische Partei Japans (DPJ), sei der Artikel kaum mehr zu überwinden.

"Wir sind stolz auf den Arti-kel 9" , hält Yasutoshi Nishimura, der parlamentarische Staatssekretär im Außenministerium, dagegen. Kein anderes Land auf der Welt habe ein solches Friedensgebot in der Verfassung, sagt er in einem Interview mit dem Standard, "wir wollen keine militärische Großmacht werden, die von anderen als Bedrohung aufgefasst wird". Lediglich eine "Anpassung" soll es geben, und auch das nur auf lange Sicht. Und wenn Nordkorea nun nach 1998 ein zweites Mal eine Rakete über Japan hinweg abfeuert? "Wir denken nicht an eine Änderung der Verfassung" , bekräftigt Nishimura. Japans Sicherheitspolitik stehe auf zwei Säulen - den "Selbstverteidigungskräften" und der Allianz mit den USA. In der Nordkoreafrage setzt Japan zudem weiter auf diplomatische Verhandlungen im Rahmen der Sechs-Parteien-Gespräche.

Außerhalb des Ministeriums aber beginnen die außenpolitischen Strategien zu verschwimmen. Es gibt aufstrebende Politiker in der regierenden LDP wie Ichita Yamamoto, die sehr wohl eine Verfassungsänderung wollen und internationale Einsätze der "Selbstverteidigungskräfte festschreiben möchten. "Wir müssen uns in Richtung einer Welt mit multipolaren Kräften bewegen" , sagt er.

Natürlich geht es dabei wieder um den Umgang mit Japans Kriegsvergangenheit. Im rechten nationalistischen Spektrum ist kein Platz für Tabus. Yoshiko Sakurai, eine Publizistin und TV-Moderatorin, tummelt sich dort und sagt mit sanfter Stimme Ungeheuerliches für viele Ohren in Japan und erst recht für die Nachbarn in Ostasien: "Wir haben die Fähigkeit zur Führerschaft im 21.Jahrhundert, wir vermitteln humanistische Werte, wir machen die Menschen glücklich." Yoshiko Sakurai empfängt Gäste in ihrem Haus in Tokio neben einem Tempelschrein. Sollte die Rechte wie Linke vereinigende DPJ nun an die Macht kommen, so sagt sie voraus, wird die Partei zerfallen. "Dann können wir den politischen Wiederaufbau in Japan beginnen." (Markus Bernath aus Tokio/DER STANDARD, Printausgabe, 26.3.2009)