Kriminologe Frank Robertz

Foto: Peherstorfer

Salzburg - Depressive Symptomatik, schlechter werdende Noten, mangelnde Anerkennung, keine funktionsfähigen Freundschaften: Was man einige Wochen nach der Tat über Tim K., den Schul-Attentäter von Winnenden, wisse, sei "alles sehr typisch", sagte der deutsche Kriminologe Frank Robertz am Mittwochabend bei einem Vortrag in Salzburg. Robertz beschäftigt sich seit Jahren mit Amokläufen an Schulen.

Bei allen Tätern der weltweit bisher 100 tödlichen Amokläufe an Schulen habe es sich um introvertierte Einzelgänger gehandelt. Der Weg zum Amoklauf beginne oft Jahre vorher, wenn es den Jugendlichen (96 Prozent davon männlich) nicht gelinge, Anerkennung im Freundeskreis zu finden.

Reiße dann das letzte Band zur Umwelt ab, etwa durch die Trennung von einer Freundin oder den Tod eines Angehörigen, entstünden die ersten Gewaltfantasien, sagt Robertz: "Dann sind sie in einer Phase, wo sie sich mit allem beschäftigen, was mit Gewalt zu tun hat." Neben Büchern, Filmen oder Computerspielen gehöre auch der Umgang mit Waffen wie etwa Luftdruckgewehren dazu.

Medien als Problem

Ein großes Problem sei auch die Medienberichterstattung über Amokläufe an Schulen: "Medien beleuchten School Shootings als 'alternative Lösung'. Man schafft es damit, drei Wochen lang auf allen Magazincovers zu sein." Im Internet hätten sich rund um einzelne Attentäter Fangemeinden gebildet, "Sie finden einen wahren Heldenkult, der durch falsche Berichterstattung ausgelöst wurde". Viele Taten seien detailgetreue Nachahmungen vorangegangener Amokläufe.

Viele Amokläufe hätten durch rechtzeitige Früherkennung verhindert werden können, sagt Robertz. Die sozialen Beziehungen gefährdeter Schüler "können wir ganz genau abfragen. Die teilen uns das mit, weil es sie beschäftigt." Vor der Tat gebe es fast immer mehrere Warnsignale, etwa, wenn Schüler exzessive Gewalt in Bildern, Videos, Aufsätzen oder persönlichen Gesprächen zum Thema machen.

Den Schulen empfiehlt Robertz, Krisenteams aus Direktoren, Schulpsychologen und interessierten Lehrern zusammenzustellen. Diese Teams sollten sich mit Fachleuten aus Schulverwaltung und Einsatzorganisationen, mit Polizisten, Ärzten, Psychiatern oder Seelsorgern vernetzen und auf Warnsignale achten. Insgesamt brauche der Schulbereich viel mehr Psychologen und Sozialarbeiter, forderte Robertz. (pehe/DER STANDARD-Printausgabe, 28.3.2009)