Ein Bauplatz wie einst der Potsdamer Platz in Berlin. Die Wirkung des 237 Meter hohen Kulturpalastes können aber selbst andere Wolkenkratzer nicht dämpfen.

Foto: Standard/Anne Katrin Feßler

Provisorium im ehemaligen Möbelgeschäft: Bis 2014 der Neubau für das Museum moderner Kunst Warschaus fertiggestellt sein wird, ist auch die Sammeltätigkeit des Hauses fast eingefroren.

Foto: Standard/Anne Katrin Feßler

Zur Eröffnung des ms2 in Lodz im November 2008 organisierte das Polnische Institut eine Studienreise durch Polen.

Foto: ms2 / P. Tomczyk

Warschau/Lodz - Zu Zeiten des Kalten Krieges erzählte man sich in Warschau folgenden Witz:"Wer ist der glücklichste Mann der Stadt?" Antwort: "Der Portier des Kulturpalastes. Er ist der Einzige, der, wenn er morgens die Tür aufsperrt, nicht auf den 'Stalinstachel' blicken muss."

Der Reisende mag das mit 237 Metern noch heute höchste Gebäude Polens - inspiriert von sozialistischem Realismus, polnischem Historismus und Chicagoer Schule - bestaunen, den Warschauern ist und bleibt der einst von Architekt Lew Rudnew entworfene Koloss ein Symbol totalitärer Unterdrückung. 190 historische Häuser mussten dem Gebäude, das in einem bautechnischen Kraftakt mit 4000 sowjetischen Arbeitern binnen drei Jahren hochgezogen wurde, 1952 weichen.

Seit die Panzer 1989 endgültig abgezogen sind, gab es viele Ideen, sich des Kulturpalastes vollkommen zu entledigen, berichtet Sebastian Cichocki, Kurator des 2005 gegründeten Museums für moderne Kunst. Ausgerechnet an diesem Platz "ideologischer Schande" , dem Plac Defilad, wo die Apparatschiks am Nationalfeiertag aufmarschierten, soll die junge Institution, die einstweilen in einem ehemaligen Möbelgeschäft Unterschlupf gefunden hat, einen eigenen Bau erhalten. Ein Unterfangen von immenser öffentlicher Beachtung, so Cichocki. Nicht allein, weil in den reifenden osteuropä-ischen Demokratien Kunst und die neuen Museen gerne als unterstützende und stimulierende Instrumente der Modernisierung betrachtet werden. Auch weil der mit 35.000 Quadratmetern flächenmäßig mit der Tate Modern konkurrierende Bau der erste Museumsneubau nach 1938 im Land wäre - sieht man einmal von dem 2008 fertiggestellten Zentrum für zeitgenössische Kunst in Toruñ in der polnischen Provinz, ab. Die Ansprüche an das Museum, das 2014 das Nationalmuseum, Nationalgalerie und das Zentrum für zeitgenössische Kunst im Ujazdowski Schloss ergänzen soll, sind also gewaltig. Die Kritik daran allerdings ebenso.

Insbesondere aus der Kunstgemeinde selbst hagelte es Kritik am "zu minimalistischen" Siegerprojekt von Christian Kerez, es erinnere "zu sehr an den Kommunismus". Kritik, die nicht gerade für stärkeren Rückhalt in der Gesellschaft sorgte. Die hätte sich, als Trost für den versäumten Abriss, zumindest ein Niederringen, ein Neutralisieren des Kulturpalastes erwartet. Und anstatt abzuflauen, gewannen die Attacken sogar an Intensität: Irgendwann verglich man das L-förmige Gebäude, das anstelle der rot-weiß überdachten Supermärkte entstehen soll, zynisch mit einem Einkaufszentrum.

Einlenken in Zeiten der Krise

Die andauernden Konflikte bescherten dem Museum 2007 mit Joanna Mytkowska sogar eine neue Direktorin und weiteten sich auf Streitereien zwischen dem Architekten Kerez und der Stadt aus. Diese bildete sich entgegen der vorgesehenen Budgetierung des Ministeriums ein Theater unter demselben Dach ein, seufzte Cichocki noch im vergangenen November. "Inzwischen sehen die Dinge schon viel besser aus." Sowohl der Bürgermeister als auch der Kulturminister seien bemüht, die Konflikte beizulegen. Sie fürchten, dass einem Verlust europäischer Fördermittel ein nationaler Skandal folgen werde. "In Zeiten der Krise wäre es schwierig, zu vergeben und zu vergessen."

Unbeeindruckt von solchen Streitigkeiten gedeiht in Warschau eine junge, lebendige Galerienszene, deren Künstler einen regelrechten Polen-Boom ausgelöst haben und sich über das Interesse einiger internationaler Sammler freuen dürfen. Schwellenängste darf man jedoch keine haben, denn Galerien wie Raster, Czarna und Leto befinden sich recht versteckt in Warschauer Hinterhäusern. Warum man die Galerien nicht in straßenseitigen Gassenlokalen finden kann, will man von Zuzanna Janin, einer der Kuratorinnen in der Galerie Lokal 30, wissen. Das sei einfach zu erklären: Es wäre viel zu kommerziell, quasi unanständig.

In Lodz, rund 120 Kilometer südwestlich der Hauptstadt, scheut ein öffentliches Haus die Nähe zum Kommerz hingegen nicht. Für die zeitgenössische Sammlung des Museum Sztuki ("Sztuki" heißt "Kunst"), zu deren berühmtesten Schenkungen jene von Joseph Beuys (Polentransport 1981)zählt, fand man in einem ehemaligen Webereigebäude von 1895 Platz. Das Museum Sztuki, kurz ms2, ist eingebettet in einen historischen Industriekomplex aus roten, wie neu leuchtenden Backsteinbauten; ihre historische Patina wurde dem Sandstrahlgebläse geopfert. "Polnische Architekten" , mehr erfuhr man trotz Nachfragen nicht, zeichneten für das wenig aufregende postmoderne Interieur verantwortlich. Im riesigen Komplex, der heute Manufaktura heißt, zählen Schuh- und Fetzengeschäfte, Lokale, Discos und Multiplex-Kinos zu den nächsten Nachbarn des ms2. Beim Schaufensterbummel kann also auch die Kunst zur schönsten Nebensache der Welt werden. (Anne Katrin Feßler/DER STANDARD, Printausgabe, 31.3.2009)