Die Ergebnisse der Sprachstandsfeststellung seien "im Bereich des Erwartbaren" gewesen, sagt Simone Breit, Projektleiterin der Sprachstandsfeststellung im Kindergarten, im Gespräch mit derStandard.at. Auch bei deutschsprachig aufgewachsenen Kindern sei "Sprachverarmung" ein Problem. Um individuelle Förderung sicherzustellen, brauche es dringend kleinere Kindergartengruppen und eine zweite Fachkraft pro Gruppe. Die Fragen stellte Markus Peherstorfer.
derStandard.at: 23 Prozent der getesteten Kinder erreichen 15 Monate vor dem Schuleintritt kein adäquates Sprachniveau. Haben Sie diese Größenordnung erwartet?
Breit: Ja, im Prinzip doch. Es hat vor dieser Sprachstandsfeststellung schon die so genannten Sprachtickets gegeben. Da haben zwischen 15 und 20 Prozent der Kinder ein Sprachticket bekommen und im Kindergarten Förderung erhalten, also war das zu erwarten.
derStandard.at: Die Sprachstandsfeststellung hat ergeben, dass nicht nur viele Kinder mit einer anderen Muttersprache Probleme mit dem Sprachniveau haben, sondern auch zehn Prozent jener Kinder, die einsprachig mit Deutsch aufwachsen. Welche Gründe stecken dahinter?
Breit: Über Ursachen oder mögliche Gründe haben wir natürlich nichts erhoben. Aber Pädagoginnen draußen berichten, dass es schon zu einer gewissen Sprachverarmung kommt, dass also Kinder nur in Halbsätzen oder in Wortbrocken sprechen. Dass diese Kultur des Sprechens zum Teil verloren geht, davon berichten zumindest Kindergartenpädagoginnen, aber auch Lehrerinnen und Lehrer.
derStandard.at: Kindergartenkinder haben viel besser abgeschnitten als Kinder, die nicht den Kindergarten besuchen. Spricht so ein Ergebnis dafür, einen verpflichtenden Kindergartenbesuch einzuführen?
Breit: Dafür spricht aus meiner Sicht sehr viel – nicht nur dieses Ergebnis. Insbesondere hat sich ja gezeigt, dass jedes zweite externe Kind einen Förderbedarf hat. Es wäre für ihre Startbedingungen zum Schuleintritt sehr, sehr schwierig, wenn sie nicht zumindest ein Jahr im Kindergarten wären. Das halte ich für besonders wichtig, nicht nur vor dem Hintergrund, ihre sprachlichen Kompetenzen zu verbessern, sondern um ihre ganzheitliche Förderung im Kindergarten zu unterstützen. Da geht es ja auch oftmals um die Motorik, um Wahrnehmung, darum, wie ich eine Schere halte, wie ich mich als Kind in eine Gruppe einbringe. Das sind alles Sachen, die man dann in der Schule braucht.
derStandard.at: Ein verpflichtendes letztes Kindergartenjahr wäre also zumindest ein guter Schritt?
Breit: Das letzte, verpflichtende kostenlose Kindergartenjahr ist einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Mittelfristig sollte es aber zu einem mehrjährigen verpflichtenden Kindergartenbesuch kommen, denn in einem Jahr können auch keine Wunder vollbracht werden. Und es zeigt sich ja doch, dass der Kompetenzaufbau erst langfristig wirkt.
derStandard.at: Inwiefern sind denn die beiden Gruppen bei der Sprachstandsfeststellung, die Kindergartenkinder und die externen Kinder, überhaupt vergleichbar? Bei den externen Kindern hat ja die Rücklaufquote nur neun Prozent betragen.
Breit: Es hat uns überrascht, dass der Rücklauf mit neun Prozent doch so gering war. Das deutet darauf hin, dass viele Eltern, die ihr Kind noch nicht für den Kindergarten angemeldet haben, auch dieser Einladung zum Schnuppernachmittag nicht gefolgt sind. Damit konnte in dieser Erhebung auf jeden Fall ein ganz wichtiger Problembereich identifiziert werden, was letzten Endes auch wieder zum verpflichtenden Kindergartenjahr führt. Wir gehen davon aus, dass es eher eine Positivauswahl an Eltern ist, die dort hingegangen sind und dass die Ergebnisse dieser Gruppe gefärbt sind von der Haltung der Eltern, immerhin dieses Angebot wahrzunehmen.
derStandard.at: Wie könnte man die Rücklaufquote verbessern?
Breit: Das scheint sehr, sehr schwer zu sein. Diesmal war es eine Einladung an die Eltern. Für uns war es wichtig, eben keine Vorladung oder keinen Pflichttermin daraus zu machen, sondern das reizvoll zu gestalten. Das scheint nicht in ausreichendem Maß gelungen zu sein. Woran es genau liegt, wissen wir nicht.
derStandard.at: Inwiefern kann man die Kindergartenkinder, die über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet wurden, mit den Kindern vergleichen, die zum ersten Mal für einen halben Tag im Kindergarten waren?
Breit: Die Situation für die Kinder ist schwer vergleichbar, weil die einen in gewohnter Umgebung mit vertrauten Personen sind – das haben die Kinder beim Schnuppertag nicht gehabt. Aber die Kriterien, die beim Schnuppertag beobachtet worden sind, sind genau dieselben wie im Beobachtungsbogen für die Kindergartenkinder. Von daher ist es vergleichbar.
derStandard.at: Warum haben sich nur fünf Bundesländer, nämlich Wien, die Steiermark, Kärnten, Salzburg und das Burgenland, an dieser Erhebung beteiligt?
Breit: Die rechtliche Grundlage für die Durchführung der Sprachstandsfeststellung ist eine so genannte 15a-Vereinbarung, ein Vertrag zwischen Bund und Ländern. Und die wurde von einigen Ländern sehr spät unterzeichnet, sodass es nicht mehr möglich war, das zeitgerecht durchzuführen.
derStandard.at: Was ist mit den externen Kindern passiert, denen Sprachförderung empfohlen wurde? Werden die jetzt gefördert?
Breit: Was jetzt in der Förderung stattfindet, ist überhaupt nicht Teil unseres Auftrags. Viele dieser Kinder haben sich aber für den Kindergartenbesuch angemeldet, die Besuchsquote liegt jetzt noch einmal deutlich über der des vorangegangenen Jahres. Die Bundesländer haben sich sehr bemüht, diesen Kindern die entsprechende Förderung zukommen zu lassen. Wie das konkret ausschaut, können Ihnen die Verantwortlichen der einzelnen Länder beantworten.
derStandard.at: Wie sind die Kindergartenpädagoginnen mit diesen Erhebungsbögen zurechtgekommen?
Breit: Wir haben nur sehr subjektive Einzelrückmeldungen, wie es ihnen damit ergangen ist. Ich denke, da muss man die Evaluation abwarten, die noch diesen Frühling erscheinen wird. Das kann ich anhand der Daten, die wir erhoben haben, überhaupt nicht objektiv beurteilen.
derStandard.at: Wie qualifiziert sind die Kindergartenpädagoginnen für zusätzliche sprachliche Förderung?
Breit: Die Kindergartenpädagoginnen haben eine sehr fundierte Grundausbildung, um mit Kindern im Alter von drei bis sechs zu arbeiten. Niemand anderer kann das so gut wie sie. Nichtsdestotrotz war es uns sehr wichtig, auch begleitend Schulungen zu forcieren. Ein sehr gutes Beispiel dafür sind die Lehrgänge zur frühen sprachlichen Förderung, die an den pädagogischen Hochschulen angeboten werden.
derStandard.at: Brauchen die Kindergärten nicht mehr Personal, um die Kinder individuell sprachlich fördern zu können?
Breit: Wir haben schon festgestellt, dass die Durchführung der Sprachstandsfeststellung und vor allem dann die Förderung immer bedeutet: Hinwendung zum Kind. Und das braucht natürlich zeitliche und personelle Ressourcen. Eine Verbesserung der Rahmenbedingungen ist unbedingt einzufordern. Sowohl, was den Erzieher-Kind-Schlüssel betrifft, als auch die Gruppengrößen in den Kindergärten. Kleinere Gruppen und eine zweite ausgebildete Fachkraft in der Gruppe wären ganz wichtig. Vor allem, weil Sprachförderung in der Umsetzung ja bedeutet: Arbeit in Kleingruppen, um differenzierte Angebote zu setzen.
derStandard.at: Wird es dieses Jahr eine zweite Sprachstandsfeststellung in dieser Form geben?
Breit: Diese 15a-Vereinbarung legt fest, dass das jetzt einmal ein Projekt für drei Jahre ist. Das heißt, wir kommen heuer in die zweite und nächstes Jahr in die dritte Phase.
derStandard.at: Sind inzwischen alle Bundesländer mit an Bord?
Breit: Sie haben mit dem Bund diesen Vertrag abgeschlossen und führen auf jeden Fall die Sprachstandsfeststellung durch – ob das auch mit diesen Instrumenten gemacht wird, liegt im Verantwortungsbereich der Bundesländer. Wir haben die Materialen auch nach Oberösterreich und nach Tirol verschickt; inwieweit die das jetzt im Frühling einsetzen, kann ich nicht sagen. (derStandard.at, 31.03.2009)