Es begann mit einem vorsichtigen Abtasten. Heikle Themen wie der Völkermord wurden ausgespart, als der türkische Präsident Abdullah Gül vergangenes Jahr nach Eriwan zum Fußballmatch fuhr. Er blieb auch gelassen, als im Stadion Buhrufe ertönten. Ein halbes Jahr später, nachdem der diplomatische Austausch forciert worden ist, stehen Ankara und Eriwan nun vor einem historischen Erfolg: Sie könnten demnächst wieder offizielle Beziehungen aufnehmen, die Grenze öffnen und in einer Historikerkommission über die Massaker an den Armeniern reden.

Die Türkei kann damit vor allem auf der Image-Ebene punkten. Mit ihrer Haltung zu den Verbrechen an Armeniern im Osmanischen Reich hat sie bisher Kopfschütteln geerntet. In EU-Europa wird die offizielle historische Bewertung seitens der Türkei oft als "unwürdig" für einen EU-Beitritt bewertet. Regierungschef Recep Tayyip Erdogan weiß das, und er kennt die Haltung des neuen US-Präsidenten Obama, der sich im Wahlkampf für eine Resolution im US-Kongress aussprach, die die Massaker als Völkermord bezeichnet.

Für einen Frühling nach dem Tauwetter zwischen Eriwan und Ankara spricht auch, dass eine Grenzöffnung den Handel und damit das Wirtschaftswachstum in der verarmten Südost-Türkei ankurbeln sollte. Zudem hat die Türkei nach dem Konflikt zwischen Russland und Georgien höchstes Interesse an der Stabilisierung der Region, und zwar gemeinsam mit Russland. Und sie weiß, dass sie an Terrain gewinnt, wenn sie mit der Normalisierungspolitik vorangeht. (Adelheid Wölfl/DER STANDARD, Printausgabe, 1.4.2009)