Nach internationalen Protesten hat der afghanische Staatschef Hamid Karsai das umstrittene neue Ehegesetz für die schiitische Minderheit vorerst auf Eis gelegt. Karsai verteidigte das Gesetz gegen "Missverständnisse", ordnete aber zugleich eine Überprüfung an. Washington, Berlin und Paris hatten das neue Ehegesetz scharf kritisiert, auch auf dem Nato-Gipfel in Straßburg gab es Widerspruch: US-Präsident Barack Obama bezeichnete den Text als "abscheulich".

Karsai sagte am Samstag in Kabul, die westlichen Bedenken seien womöglich auf "unangemessene oder nicht so gute Übersetzungen" zurückzuführen. Er kündigte allerdings an, der Justizminister werde den ganzen Text studieren, ihn gegebenenfalls in Absprache mit islamischen Würdenträgern ändern und dem Parlament erneut vorlegen. Karsai hat das Ehegesetz schon unterzeichnet; weil es nicht per Amtsblatt veröffentlich wurde, ist es aber noch nicht in Kraft.

Laut einer Übersetzung des Gesetzes heißt es in Artikel 132: "Der Ehemann ist, wenn er nicht reist oder krank ist, dazu verpflichtet, alle vier Nächte Geschlechtsverkehr mit seiner Ehefrau zu haben. Die Frau ist verpflichtet, positiv darauf zu reagieren." Nach UN-Angaben schreibt der Rechtstext ferner fest, dass schiitische Frauen in Afghanistan ohne die Erlaubnis ihrer Ehemänner weder arbeiten noch eine Ausbildung machen dürfen. Das Haus dürften sie nur aus "legitimen Gründen" verlassen.

Karsai macht Wahlkampf

Rund 15 Prozent der afghanischen Bevölkerung gehören der schiitischen Hazara-Minderheit an, deren Vertreter ein eigens auf sie zugeschnittenes Familienrecht gefordert hatten.

Karsai habe offensichtlich versucht, sich vor der August-Wahl die Stimmen der schiitischen Minderheit zu sichern, sagte die afghanische Abgeordnete Shinkai Karochail. Er habe einfach die Forderungen der schiitischen Kleriker akzeptiert. Der schiitische Geistliche und Parlamentsabgeordnete Mohammad Akbari nannte die Kritik an dem neuen Gesetz dagegen ein "politisches Spiel" westlicher Politiker. "Sie reden von Menschenrechten, und wir sagen, dass es das erste Recht der Menschen ist, Religion zu haben." (dpa, DER STANDARD, Print, 6.4.2009)