Die Europareise von US-Präsident Barack Obama und dessen demonstratives Eintreten für die Aufnahme der Türkei in die EU sind am Dienstag Gegenstand von internationalen Pressekommentaren:
"Le Monde" (Paris):
"Etwas hat sich verändert im Verhältnis der USA zu Europa. Es gibt eine 'Art Obama', die einen neuen Führungsstil der USA ausdrückt, nicht mehr so arrogant, ohne Lektionen zu erteilen und nicht mehr so entschieden. Man ist 1000 Meilen von dem 'Entweder mit uns oder gegen uns' der ersten Amtszeit von George W. Bush entfernt. Obama hat bei den Diskussionen sehr viel zugehört, sagte ein Teilnehmer des Londoner Gipfels der G-20. Er äußert eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit, die einem wohlverstandenen Multilateralismus entspricht. Das ist nicht nur ein persönliches Verhalten. Das ist eine Art, die der Realität einer Welt sehr viel besser entspricht, in der mehrere Machtzentren miteinander zusammenleben müssen."
"Le Figaro" (Paris):
"Obama bleibt mit seiner Kampagne für eine Aufnahme der Türkei in die Europäische Union der traditionellen Position der USA treu, wie sie auch schon Bush formuliert hatte. Dies ist irritierend für alle diejenigen, die gegen eine Einmischung der USA in eine Angelegenheit sind, die eigentlich nur die Europäer etwas angeht. Aus amerikanischer Sicht wäre es nachteilig, wenn Europa mit seinen 500 Millionen Einwohnern auch einen politischen Willen entwickeln sollte, der den USA und China, den beiden Supermächten der Zukunft, Konkurrenz macht. Man kann verstehen, dass Barack Obama eine solche Sichtweise der Zukunft hat. Und Europa hat die Aufgabe, eine andere Sichtweise zu haben."
"The Independent" (London):
"Obamas eindeutige Unterstützung der EU-Mitgliedschaft der Türkei ist in Paris und Berlin nicht besonders gut aufgenommen worden. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy haben die Vorstellung zurückgewiesen, dass dieses überwiegend muslimische Land mit 80 Millionen Bürgern dazu bestimmt sei, rasch in die europäische Familie aufgenommen zu werden. Präsident Obama war vielleicht etwas undiplomatisch, Ankaras EU-Aufnahmeantrag so vollständig zu unterstützen, doch wir sollten uns nicht nicht täuschen: Es liegt nicht im Interesse der Europäer, der Türkei die Tür vor der Nase zuzuschlagen."
"Der Tagesspiegel" (Berlin):
"Die Türkei baut ihre politische Rolle auf der internationalen Bühne systematisch aus. So gilt Obamas Besuch nicht nur der Türkei an sich. Der amerikanische Präsident verdeutlicht damit, dass ihm an guten Beziehungen zur islamischen Welt gelegen ist. Unter der fromm-konservativen Regierung Erdogan hat die muslimisch, aber säkular strukturierte Türkei eine Führungsrolle in der islamischen Welt übernommen. Die türkisch-amerikanischen Beziehungen sind keineswegs problemfrei. Doch offenbar ist die Obama-Administration entschlossen, sich von diesen Differenzen nicht von dem Ziel abbringen zu lassen, die Türkei möglichst eng an sich und den Westen zu binden."
"Rhein-Zeitung" (Koblenz):
"Die Kernfragen bleiben: Ist eine westlich geprägte Wertegemeinschaft reif für ein islamisches Land, und ist umgekehrt die Türkei reif für die Union? Befürworter und Gegner haben jeweils gute Argumente. US-Präsident Obama indes verkennt, dass es in Sachen EU-Mitgliedschaft eben um mehr geht als allein um strategische Aspekte oder aber um eine Belohnung dafür, dass die Türken doch noch den Weg frei gemacht haben für den neuen dänischen NATO-Generalsekretär. Nach seiner Einmischung bekommt der US-Präsident deshalb jetzt zu spüren, dass es auf internationalem Parkett auch für ihn noch etwas anderes gibt als Jubelgesang: Gegenwind aus Europa - richtig so."
"Augsburger Allgemeine":
"Die Türkei ist der Europäischen Union in den vergangenen Jahren nicht wesentlich näher gekommen. Und daran wird auch Obama nichts ändern. Der amerikanische Präsident weiß, dass diese europäische Frage in Europa entschieden wird - und nicht in Washington. Dennoch hat er das Thema angesprochen. Sein Kalkül ist klar: Obama war es wichtig, dem NATO-Partner Türkei zu versichern, dass die Vereinigten Staaten ein verlässlicher Verbündeter sind. Die Charmeoffensive gehört zu seiner Strategie, dem Islam nach den feindlichen Jahren der Bush-Regierung einen Neuanfang anzubieten. Dafür nimmt Obama auch die Verärgerung vieler Europäer über den ungebetenen Ratschlag in Kauf."
"die tageszeitung" (TAZ) (Berlin):
"Obama hat den Türken nicht einfach nach dem Mund geredet, sondern durchaus kritische Punkte angesprochen. Doch bei alledem war ihm anzumerken, dass sein ausdrücklicher Wunsch nach einer Verbesserung der bilateralen Beziehungen mehr war als Rhetorik für den Augenblick. Seine Hoffnung, das amerikanisch-türkische Verhältnis zu einen Modellfall für gute Beziehungen zwischen einem christlichen und einem muslimischen Land zu machen, ist ihm ein Anliegen. (...) Obama wiederholte nicht nur, was er im Kreise der EU-Mitglieder in Prag bereits gesagt hatte, sondern begründete seine Position: Die Türkei sei der Ort, wo Ost und West zusammentreffen, und sei deshalb eine große Bereicherung für Europa. Die USA seien zwar kein Mitglied der EU, sagte er an seine Kritiker in Brüssel, Paris und Berlin, aber doch ein Freund beider Seiten. Darum fühle er sich berechtigt, seine Meinung dazu zu sagen. So wie sein Vorgänger Bush ein Meister darin war, sich Feinde zu schaffen, ist Obama ein wahrer Meister darin, Freunde zu gewinnen."
"La Croix" (Paris):
"Nach den ablehnenden französischen und deutschen Reaktionen zum Beitritt der Türkei zur Europäischen Union hätte man denken können, dass Barack Obama sich in der Frage in Istanbul diskreter zeigt. Aber das zeigte fehlendes Wissen darüber, wie er Amerika aufbauen will. Es ist das Amerika des New Deal, des Antikolonialismus, aber auch das einer multikulturellen Herangehensweise. (...) Er will gerade eine bessere Integration der Länder, die von Muslimen dominiert sind, im Konzert der Nationen."
"Frankfurter Rundschau":
"Den Europäern ist deutlich in Erinnerung gerufen worden, dass sie an den Türken nicht vorbeikommen. Wer glaubte, auf das reformmüde Land keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen, wurde eines Besseren belehrt. Zum Teil geschah das auf eine brachiale Art und Weise. Zum Teil mit freundlicher Unterstützung von Mr. Barack Obama. (...) Seine Europareise beendet der US-Präsident bewusst in Ankara und Istanbul. Er machte damit nicht nur deutlich, dass er den Dialog mit der islamischen Welt sucht. Sondern vor allem, dass Amerika die Türkei als strategischen, unverzichtbaren Partner betrachtet. (Präsident) Gül und (Premier) Erdogan können zufrieden sein mit dem Ertrag der vergangenen Woche. In Europa hingegen schnauben viele Protagonisten vor Wut."
"Neue Osnabrücker Zeitung":
"Obama hat eindrucksvoll bekräftigt, welch herausragende strategische Bedeutung die Türkei in der NATO besitzt. Das schmeichelt Ankara zu Recht und festigt die Bindungen an den Westen. Diese Entwicklung gilt es zu stärken - auch um weitere Brücken zur islamischen Welt und speziell in die nahöstlichen Krisengebiete zu bauen. Die EU sollte dem amerikanischen Präsidenten deshalb für seine Zeichen der Freundschaft Richtung Türkei dankbar sein. Das nützt grundsätzlich allen Beteiligten. Doch eine solch demonstrative Wertschätzung gibt Ankara keinen Freibrief für unzulängliche Reformschritte im Innern. Hier muss die Europäische Union deutlich schärfere Maßstäbe anlegen als die NATO und offensichtlich auch Obama."
"Jyllands-Posten" (Arhus):
"Es gab Gerüchte, dass sich der frisch ernannte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bei einer Konferenz in Istanbul für die Mohammed-Karikaturen in 'Jyllands-Posten' entschuldigen und die Schließung des Kurden-Senders Roj-TV ankündigen werde. Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan bekam weder das eine noch das andere. Das war auch gut so, denn einen Kniefall hätte die Glaubwürdigkeit der NATO nicht ausgehalten. Der hätte es auch schwerer gemacht, die Verletzungen der Menschenrechte zur kritisieren, die in der islamischen Welt mit Hinweis auf die 'Verletzung religiöser Gefühle' gerechtfertigt werden."
"El Periódico" (Barcelona):
"Der US-Präsident verfolgt mit seiner Haltung das Ziel, sich die Türkei als zuverlässigen Alliierten in der NATO zu erhalten. Unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen kann die 'Allianz der Zivilisationen' zu einem diplomatischen Instrument zur Förderung der Toleranz und zur Überwindung von Konflikten werden. Die Allianz ist das weltpolitische Starprojekt des spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero. Sie soll der Hoffnung auf einen Dialog des Westens mit der islamischen Welt und mit China Nahrung geben. Die Initiative fand begeisterte Unterstützung in der Türkei. Die europäischen Staaten geben allmählich ihre Skepsis auf, nachdem Barack Obama das Vorhaben unterstützt hat." (APA/AP)