Steigt man die Treppen zum Chemielabor der Grazer Firma pichem empor, schlägt einem sofort ein schwefelartiger Geruch entgegen. Andreas Artl, einer von zwei Produktionsleitern des chemischen Betriebs, bemerkt den Geruch jedoch gar nicht mehr: "Das ist Chemie - und die riecht eben."
Inmitten der unzähligen Geräte und Roboter, die sich an den langen Tischen aneinander reihen, entstehen jedoch nicht irgendwelche chemischen Substanzen, sondern Wirkstoffe für neue Medikamente. „In jedem Medikament, das man kauft, ist ein Füll- und ein Wirkstoff enthalten. Was wir hier herstellen, ist der Wirkstoff", so Artl.
Basteln mit Proteinen
Unikliniken oder Pharmafirmen, die ein auf Peptid-Basis beruhendes Krankheitsbild erforschen, beauftragen den Betrieb mit der Entwicklung des Wirkstoffes. "Peptide sind kurze Proteinstücke, die überall im Körper vorkommen. Entweder in unlöslicher Form wie in Muskeln, Haaren oder Nägeln oder auch in löslicher Form, beispielsweise im Blut. Wir stellen diese Proteine hier synthetisch her, indem wir Aminosäuren aneinander reihen", so der Chemiker. Fehlt durch eine Krankheit ein solcher Baustein im Körper, wie beispielsweise bei der Zuckerkrankheit das Peptid Insulin, kann man durch entsprechende Medikamente der Krankheit entgegen wirken.
Der chemische Betrieb hat sich vor Jahren auf die Synthetisierung von Peptiden spezialisiert und ist österreichweit auch die einzige Firma, die dieses Verfahren beherrscht. Bis ein Medikament jedoch auf den Markt kommt, dauert es laut Artl etwa zehn Jahre. Jeder Wirkstoff muss etliche Tests durchlaufen und Prüfungen bestehen: "Um Substanzen herzustellen, die beim Menschen eingesetzt werden dürfen, braucht man eine so genannte Good Manufacturing Practice-Zertifizierung. Österreichische Behörden und die EU überprüfen alles genauestens um die Qualitätsstandards zu gewährleisten."
Impfstoff gegen Alzheimer
Bereits fünf Jahre hat Artl, der auch Präsident des größten österreichischen Volleyballvereins ist, in ein großes "Alzheimerprojekt" investiert. Eine Wiener Biotech-Firma versucht einen Impfstoff gegen die Erkrankung auf den Markt zu bringen, pichem soll dafür den Wirkstoff produzieren. "Wenn nichts schief geht, kann man bald mit Ergebnissen rechnen. Bis das Produkt schlussendlich am Markt ist, kann es aber noch drei oder vier Jahre dauern", schätzt der 40-Jährige. Ein großer amerikanischer Pharmakonzern ist bereits vorsichtshalber für etliche Millionen Euro bei der Wiener Firma eingestiegen - laut Artl die größte Beteiligung eines Pharmakonzerns an einer Biotech-Firma, die es je in Österreich gegeben hat.
Stoffe gegen Krebs
Auch für die Krebstherapie und -diagnostik stellen Andreas Artl und seine Kollegen Wirkstoffe her: "Dafür werden speziell modifizierte Moleküle verwendet, die einen Art Käfig eingebaut haben. In diesem Käfig sitzt ein radioaktives Metall. Wird das Peptid einem Menschen verabreicht, hängt es sich einfach an die Krebszellen im Körper." Scannt man danach den Körper ab, weiß man genau wo die Krebszellen sitzen.
Diese so genannten Tracer werden nicht nur in Wien, Innsbruck und Klagenfurt zur Krebsdiagnostik eingesetzt, im Zuge eines Förderungsprogramms der Internationalen Atomenergiebehörde gehen diese Moleküle auch nach Indien, Chile oder Argentinien.
Absolventen der klassischen Chemie gefragt
Da dieses Wissen rund um die Peptidchemie an keiner Uni gelehrt wird, bekommen neue Mitarbeiter zuerst eine komplette Schulung. In der Chemie-Branche allgemein einen Job zu finden, sei jedoch nicht schwer, da es momentan nicht so viele Mitbewerber gebe: "Die Studienzahl geht eher zurück. Denn die klassische Chemie war in letzter Zeit nicht sehr in. Der Trend ging eher Richtung Molekularbiologie, Genetik und Biochemie." Absolventen mit einem abgeschlossenen Studium in klassischer Chemie, vor allem mit Spezialisierung auf Organische Chemie, seien daher begehrt.
Was ein Chemiker jedoch unabhängig von seinem Spezialgebiet mitbringen muss, sei ein Forscher- und Entdeckerdrang: "Man sollte sich dafür interessieren zu forschen, neue Wege zu gehen und Neues zu entdecken."
"Ein greifbares Produkt, das etwas bewirken kann"
Auch medizinisches Wissen und ein Hang zum genauen Arbeiten sind für Chemiker, die sich mit der Entwicklung von Medikamenten beschäftigen, unerlässlich, meint Artl: "Im Gegensatz zur großen chemischen Industrie schaufeln wir unsere Chemikalien nicht, sondern arbeiten mit extrem kleinen Mengen."
Das Forschen nach neuen Wirkstoffen und die enge Zusammenarbeit mit der Medizin sind auch jene Dinge, die Andreas Artl an seinem Beruf besonders reizen: „Wir produzieren etwas und am Ende haben wir ein greifbares Produkt, das etwas bewirken kann." Als Forscher an der Uni würden die Ergebnisse vieler Projekte nur in der Schublade laden.
Auch im Zuge des letzten EU-Projekts, an dem Artl mit seinen Kollegen teilnahm, ist ein wirksames Produkt entstanden. Entwickelt wurde eine so genannte Life Saving Drug. Menschen, denen eine gewisse Substanz im Körper fehlt, können durch dieses Medikament weiterleben. (Maria Fanta, derStandard.at, 8. April 2009)