Unter den Bildern aus dem Erdbebengebiet befindet sich eines von besonderem Symbolwert: vor der Kulisse des zerstörten Regierungspalastes in L'Aquila spaziert ein Carabiniere mit Handy am Ohr auf der mit Trümmern übersäten Straße. In der Regionalhauptstadt sind fast alle öffentlichen Ämter zerstört oder schwer beschädigt: Präfektur, Polizei, Krankenhaus, Gemeinde. Das wirft Fragen über den Umgang öffentlicher Einrichtungen mit dem Gesetz auf. Wie ist es möglich, dass eine Polizeistation in einer Erdbebenregion nicht gesetzeskonform gebaut ist? Ein Erdstoß genügt, um uralte Übel bloßzulegen. "Gesetze sind da, um sie zu umgehen", weiß ein italienisches Sprichwort.
Die Folgen dieser Untugend sind jetzt zu besichtigen. Seismologen betonen, dass ein Erdbeben moderater Stärke wie jenes in den Abruzzen in Japan oder Kalifornien "nahezu folgenlos" verlaufen wäre. Nicht so in Italien, wo Gesetze ignoriert, Baubestimmungen umgangen und Regeln missachtet werden. Niemand muss befürchten, dafür zur Rechenschaft gezogen werden.
Dass Regierungschef Silvio Berlusconi den Obdachlosen jetzt ein neues Wunder verspricht, gehört zu den Ritualen jeder Katastrophe. Das war in Umbrien nicht anders, wo die Erdbebenopfer über fünf Jahre in Containern leben mussten. Den Bewohnern von L'Aquila verspricht der in Großprojekte wie die Brücke nach Sizilien vernarrte Premier jetzt die Wende: er werde "in 24 Monaten eine neue Stadt errichten". Potemkin lässt grüßen. (Gerhard Mumelter/DER STANDARD, Printausgabe, 8.4. 2009)