Es sei ratsam, bei bestehenden Häusern nicht nur in die behördlichen Planunterlagen Einsicht zu nehmen, sondern sich auch vor Ort von den baulichen Gegebenheiten ein Bild zu machen, raten Ziviltechniker

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Die Kuppel der Chiesa delle Anime Sante in L'Aquila ist bei dem Erdbeben größtenteils eingestürzt. In der gesamten Region wurden viele mittelalterliche Bauten zerstört

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Neubauten in Österreichisch würden einem Beben in der Stärke von Paganica und L'Aquila standhalten. Das sieht bei Altbauten ganz anders aus

Wien – Das letzte große Beben in Österreich war im Jahr 1590. Auf Basis grafischer und textlicher Überlieferungen rechneten Experten aus, dass das Erdbeben von Neulengbach eine Stärke von etwa 6,0 auf der Richterskala aufgewiesen haben muss. Im Epizentrum stürzten damals ganze Kirchtürme ein. Bis nach Wien richtete das Beben immensen Schaden an. Bei der Michaelerkirche gab unter dem Zittern sogar die Turmkrone nach und stürzte zu Boden.

Neulengbacher Beben heute Grundlage im Bauwesen

Das Neulengbacher Beben dient heute als Grundlage für die Erdbebenberechnungen im Bauwesen. Statistisch betrachtet geht die Norm nämlich von einem Erdbeben aus, das sich in Europa alle 475 Jahre ereignet. "Die neue Euronorm ist zwar sehr streng", erklärt Hannes Kirschner, Leiter des Stabsstelle der Wiener Baupolizei (Magistratsabteilung 37), "allerdings muss man bedenken, dass es bei Neubauten überhaupt kein Problem mehr darstellt, unter wirtschaftlichen Bedingungen normgerecht zu planen." Schwieriger wird es bei Eingriffen in Altbauten.

Wiener Gründerzeithäusern stark gefährdet

"Es lässt sich darüber streiten, ob die Euronorm, die ja in erster Linie für erdbebengefährdete Gebiete in Europa entwickelt wurde, auch für Österreich sinnvoll ist", gibt der Zivilingenieur Manfred Gmeiner zu bedenken, "vor allem bei Umbauten und Aufstockungen von Bestandsbauten muss man heute sehr hohe Auflagen erfüllen". Um sich von der Strenge der behördlichen Richtlinien ein Bild zu machen: "Wenn morgen die Erde in den Ausmaßen des europäischen Bemessungserdbebens zu beben beginnt, dann bleibt von den Wiener Gründerzeithäusern nichts mehr übrig", so Gmeiner.

Nachrüstung mit Statiker

Wann ein Haus der Erdbebennorm entspricht und welche Nachrüstungen vorgenommen werden müssen, könne nur von einem Profi bestimmt werden, sagt Martin Schoderböck vom Statikerbüro Werkraum Wien. Es sei ratsam, bei bestehenden Häusern nicht nur in die behördlichen Planunterlagen Einsicht zu nehmen, sondern sich auch vor Ort von den baulichen Gegebenheiten ein Bild zu machen.

Erdbebengebiet Innsbruck und Achse Villach-Wien

Während in Österreich vor allem in den stark gefährdeten Erdbebengebieten rund um Innsbruck sowie in der Achse Villach-Wien immer mehr Maßnahmen ergreift, geht Italien einen bürokratischen Schritt zurück. Wie vor zwei Wochen bekannt wurde, will Premier Silvio Berlusconi das Baurecht aufweichen.

Berlusconi erlaubte Hausaufstockungen ohne Einreichung

In Zukunft können rund elf Millionen Haus- und Wohnungsbesitzer ihre Immobilien um 20 Prozent erweitern und aufstocken – ohne behördliche Einreichung. Ziel ist die Ankurbelung der Bauwirtschaft. "Diese Offensive ist unseriös und gefährlich", sagt Statikexperte Schoderböck, "das ist ein Freibrief für Illegalität und im Falle eines Erdbebens für noch größere Katastrophen." (Wojciech Czaja/DER STANDARD, Printausgabe, 8.4. 2009)