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Umweltschützer in Pakistan retten einen der rund 1000 Indus-Flussdelfine und bringen ihn in tieferes Wasser.

Foto: REUTERS/WWF-Canon/WWF-Pakistan/Uzma Khan

Der Fluss Sela im Südwesten von Bangladesh ist ein sehr spezielles Gewässer: Sein Wasser mutet dreckig an, und die trüben Fluten wälzen sich nur träge stromabwärts. Manchmal scheinen sie sogar zurückzufließen. Mangroven säumen die schlammigen Ufer.

Der Fluss entspringt keiner Quelle. Er entsteht aus einer Abzweigung des wesentlich breiteren Passur, der wiederum vom Wasser des Madhumati gespeist wird. Alle drei sind Teil des riesigen Ganges-Brahmaputra-Deltas, einer der am dichtesten besiedelten Regionen der Erde.

Zum Glück wird nicht das ganze Gebiet von Menschen bewohnt. Sela und Passur schlängeln sich durch den östlichen Teil der Sundarbans, des weltweit größten noch erhaltenen Mangrovenwaldes. Touristen, die hier einen Ausflug mit einem Rundfahrtschiff buchen, werden mit etwas Glück Zeugen eines faszinierenden Schauspiels: Graue, glatt glänzende Buckel durchbrechen plötzlich die Wasseroberfläche. Es sind Ganges-Flussdelfine, die zum Atemholen aufsteigen.

Nur mehr 1800 Exemplare

Die seltenen Süßwassersäuger sind auch unter dem Namen Shushuk und bei Zoologen als Platanista gangetica bekannt. Einst kam die Art fast im gesamten Einzugsgebieten von Ganges und Brahmaputra vor. Heutzutage jedoch ist ihr Bestand auf Einzelpopulationen geschrumpft, die weitgehend voneinander getrennt leben. Aktuellen Schätzungen zufolge dürfte es insgesamt noch etwa 1800 Ganges-Flussdelfine geben, Tendenz rückläufig. Zusätzlich bewohnen ungefähr 1000 Tiere der Unterart P. gangetica minor den pakistanischen Indus.

Diese beiden Flussdelfinarten sind in besonderer Weise an das Leben in ihren meist extrem trüben Heimatflüssen angepasst. Die Tiere sind praktisch blind, ihre Augen haben keine Linsen. Zur Orientierung und beim Nachstellen ihrer Beute verlassen sie sich auf ihr Sonar. Sie stoßen scharfe Klicktöne aus, die von Objekten reflektiert werden. So lassen sich Letztere präzise orten. P. gangetica jagt somit ähnlich, wie Fledermäuse es tun, aber eben unter Wasser.

Ansonsten ist der Wissenschaft nur wenig über die Lebensweise der Ganges- und Indus-Flussdelfine bekannt. Über Fortpflanzungsverhalten und Nahrungsbedarf wurde bislang mehr spekuliert als geforscht. Das muss sich dringend ändern, denn ohne fundierte Kenntnisse ist wirksamer Artenschutz kaum möglich. "Wir brauchen ein Netzwerk aus Schutzgebieten für die Delfine", erklärt der US-Biologe Brian Smith von der Wildlife Conservation Society gegenüber dem STANDARD. Doch welche Flussabschnitte sind optimal geeignet? Welche genauen Ansprüche hat P. gangetica an seinen Lebensraum?

Um diese Fragen zu klären, hat Smith zusammen mit einigen Kollegen die Flussdelfin-Population in einem Teil der Sundarbans genauer unter die Lupe genommen. Wochenlang fuhren die Experten per Boot die verzweigten Wasserläufe des Mangrovenwaldes entlang. Über jede einzelne Delfin-Sichtung führten sie genau Buch. Auch die Skipper der Touristendampfer lieferten wertvolle Information.

Tatsächlich gelang es den Forschern, deutliche Muster in der Verbreitung der Tiere zu erkennen. Offensichtlich bevorzugt P. gangetica die am stärksten eingetrübten, aber nur schwach salzhaltigen Gewässer der Sundarbans. Dort, wo die Gezeiten vermehrt Meerwasser hineinpressen, tritt überwiegend der Irrawaddy-Delfin (Orcaella brevirostris) auf.

Zwischenartliche Konkurrenz

Letzterer ist anpassungsfähiger als P. gangetica. Dennoch: "Wir glauben, dass O. brevirostris deshalb nicht weiter in das Flusssystem eindringt, weil zwischenartliche Konkurrenz sie daran hindert", so Brain Smith. Anderswo, wie zum Beispiel im Mekong, wo Shushuks nicht vorkommen, leben Populationen des Irrawaddy-Flussdelfins hunderte Kilometer stromaufwärts der Mündungen.

Die Ergebnisse ihrer Studie publizierte das Forscherteam in der Fachzeitschrift Aquatic Conservation: Marine and Freshwater Ecosystems (Bd. 19, S.225). Weitere Details und Auswertungen erscheinen demnächst im Fachblatt Oryx. Die Daten deuten genau auf die Existenz bestimmter "Delfin-Hotspots" hin - potenzielle Schutzgebiete also. Der Fluss Sela ist einer der wichtigsten.

Noch bieten die Sundarbans den Ganges-Flussdelfinen erstklassige Lebensräume, aber das Gebiet ist bedroht. Staudämme und intensive Landwirtschaft entziehen Ganges und Brahmaputra immer mehr Wasser. Je weniger Süßwasser das Delta erreicht, desto stärker kann das Meer eindringen. Der durch den Klimawandel steigende Ozeanpegel stellt eine zusätzliche Gefahr dar. P. gangetica erträgt offenbar keine hohen Salzkonzentrationen. Wahrscheinlich sind seine kleinen Nieren einfach zu schwach. (Kurt de Swaaf/STANDARD,Printausgabe, 08.04.2009)