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Es gibt sie. Sie werden mehr. Aber wie viele Menschen sich in Österreich tatsächlich wo, wie oft und mit welchem Ziel aufs Rad setzen, weiß niemand genau.

Foto: AP / Jens Meyer

Martin Eder trägt den Titel "Radverkehrskoordinator" im Lebensministerium noch nicht lange. Seit Februar. Und vielleicht ist das mitverantwortlich dafür, dass er manche Umstände nicht schönredet: "Wir sind im Blindflug unterwegs", antwortet Eder auf die Frage, wie intensiv das Fahrrad in Österreich genutzt wird. Denn auch wenn es ein gefühltes und sichtbares Plus an Radfahrern gibt, fehlt es an dem, was Planer brauchen, um Konzepte andenken zu können: Zahlen. Vergleichbare und verlässliche, halbwegs aktuelle Daten.

Sicher: Im "Masterplan Radfahren", einem Strategiepapier zur Förderung des Radverkehrs in ganz Österreich, finden sich Zahlen. Fünf Prozent der Wege, steht da, würden per Fahrrad zurückgelegt. Und im aktuellen Regierungsprogramm wird ehrgeizig mehr anvisiert: zehn Prozent Radverkehrsanteil nämlich.

Doch ob das Ziel nicht sogar schon erreicht ist, weiß keiner: "Diese Zahl", räumt Eder ein, "ist aus dem Jahr 1995." Bike-Zahlen, die Kommunen oder Touristiker gern zitieren, sind meist "regionale Erhebungen oder Schätzungen, die hochgerechnet wurden".

"Wir wissen: Wir wissen nichts", pflichtet Walter Wasner dem Radverkehrskoordinator bei. Wasner soll das ändern. Er ist verantwortlich für das im Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) beheimatete Programm "Ways 2 Go".

Grundlagen schaffen

Hier sollen zukunftsfähige Verkehrskonzepte erarbeitet werden. In Sachen Radverkehr leistet man Grundlagenarbeit: Seit Herbst suchen Experten nach einem Tool, mit dem sich der Radverkehr messen lässt - und zwar so, dass die Daten mehr als bloß die Häufigkeit vorbeistrampelnder Verkehrsteilnehmer an Messpunkten verraten: "Wir wissen, dass im Radverkehr sehr große Potenziale schlummern", erklärt Wasner, "denn zehn Prozent der Pkw-Fahrten sind weniger als einen Kilometer lang. Ein Drittel weniger als drei Kilometer." Aber ohne fundierte Datenbasis sei es schwer bis unmöglich, gezielte Förderungsmaßnahmen zu ersinnen: Ob jemand mit dem Rad bis zur Arbeit oder bis zum Bahnhof fährt, macht einen Unterschied. Freizeit- oder Alltags-Radverkehr sind überhaupt zwei Paar Schuhe.

"Zahlen sind Argumente", betont daher auch Helmut Koch vom Verkehrsplanungsbüro Traffico: "Wenn man Zuwächse kommunizieren kann, macht das öffentliche und politische Stimmung - und die ist wiederum wichtig, um Investitionen zu argumentieren." Und gerade im Fahrradbereich sei da eine Menge zu holen, erklärt der Verkehrsplaner. Zum einen, weil Radverkehrsprojekte meist arbeitsplatzintensiv sind ("gerade in Krisenzeiten ein gutes Argument"), zum anderen, weil es hier auch um gelebten Klimaschutz geht. Dass sich das Projekt erst in der Startphase befindet und frühestens in zwei Jahren harte Zahlen auf dem Tisch liegen werden, ändere an diesen Fakten nichts.

Freilich: Davor, Radverkehrsförderung einfach mit dem politisch populären, da einweihungseventtauglichen Aneinanderreihen von Radwegkilometern gleichzusetzen, warnen die Experten einhellig - auch ohne Zahlen. Echte Anreize zum Radfahren, meint Koch, setze man längst anderswo: "Die oberösterreichische Bauordnung etwa sieht mittlerweile vor, dass ab einer gewissen Größe von Wohnanlagen, nicht bloß Auto-, sondern auch Fahrradabstellplätze geschaffen werden müssen." Nachsatz: "Und zwar dort, wo sie gut erreichbar sind - nicht im Keller."

Walter Wasner wiederum verweist auf die Wichtigkeit, Pendlern das Leben zu erleichtern: Sichere Rad-Abstellanlagen oder funktionierende Radverleihsysteme bei Bahnhöfen stehen in seinem "Projekt Radpendler" auf der Agenda.

Darüber hinaus, meint Traffico-Mann Koch, würden aber auch gute Vorbilder so manchen teuren Radwegkilometer ersetzen: "Dort, wo Bürgermeister oder Entscheidungsträger selbst Rad fahren, hat das Auswirkungen. Auch, dass viele Planungspannen nicht passieren oder rasch repariert werden."

Acht Millionen Trainer

Das kann auch Radverkehrskoordinator Eder unterschreiben: "Verkehrsplanung ist wie Fußball - es gibt acht Millionen Trainer. Weil jeder betroffen ist. Und immer aus seiner eigenen Perspektive." Und eines sei durch Studien belegt: "Wer wenig Rad fährt, wünscht sich Radwege. Wer viel fährt, schwimmt in der Stadt lieber im Verkehr mit." Doch die Mär, dass Radwege mehr Sicherheit brächten, sei in Expertenkreisen "längst widerlegt: Wo Radwege Straßen kreuzen, gibt es fünfmal so viele Unfälle wie dort, wo Radfahrer auf der Straße die Kreuzung benutzen."

Kein Wunder also, dass auch hier mittlerweile ein Umdenken einsetzt: Der Arbeitsausschuss für nichtmotorisierten Verkehr in der "Österreichischen Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr" (ein Expertenpanel mit 1400 Fachleuten) hat Mitte März bei Verkehrsministerin Doris Bures ein Positionspapier zu "StVO-Änderungen im Bereich Radverkehr" deponiert.

Eine Kernforderung: Die Regel, wonach Radfahrer beim Einfahren vom Radweg in eine Kreuzung automatisch Nachrang haben, solle "ersatzlos gestrichen" werden. Auch, weil klar verständliche, für alle gleiche und vor allem praktikable Regeln ebenfalls einen Ansporn darstellen, das umweltfreundlichere Verkehrsmittel zu wählen. (Thomas Rottenberg/STANDARD, Printausgabe, 08.04.2009)