"Wenn ich groß bin, gehe ich in eine andere Schule": Karamfila

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Hängt spontan noch eine Stunde an: Österreichs erste Stützlehrerin für Romanes, Rabie Peric-Jasar (im Hintergrund)

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"Wann gehen wir Tanzen?": Dragan

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„K, aaa, rrrrr, aaa...." - Karamfila buchstabiert ihren Namen laut, während sie ihn mit der Linken aufs Papier krakelt. Am Ende steht „KaramfilaKaramfila" auf dem Blatt. Mit dem Abstand nimmt es die Achtjährige nicht so genau. Das gilt auch für die Lehrerin: „Rabije!", schreit sie, zischt quer durch die Klasse, bremst sich bei der Frau mit dem orangen Pulli ein, um ihren Kopf in den Bauchnabel der Lehrerin zu bohren. „Schon gut, schon gut", sagt Rabije Perić-Jasar. „Sozial sehr schwierig" seien eben die Verhältnisse der Achtjährigen.

"Dann werde ich eben Lehrerin"

Erst vor einem Jahr sei Karamfila nach Wien zu ihrer Mutter gezogen, vorher hatte sie bei der Oma in Bulgarien gewohnt. „Und wir wissen ja, wie es den Roma dort geht", sagt Perić-Jasar, und lässt ihre Stirnfalte weiter sprechen. Ihre Mutter hätte sie schon früher nach Wien holen wollen, aber mangels Job nicht dafür bezahlen können. Nun geht Karamfila in die erste Klasse der Volksschule Johnstraße. Wenn man sie fragt, was sie einmal werden möchte, sagt sie: „In die Schule gehen." Und danach? „In eine andere Schule gehen." Und wenn sie dafür zu alt ist, dann werde sie eben Lehrerin.

Pädagogen als Superstars

Auch Dragan, der neben ihr sitzt, will Lehrer werden. PädagogInnen scheinen für die Kinder der Roma-Lerngruppe in der VS Johnstraße einen Status haben, den bei anderen Kids nur Feuerwehrmänner oder Polizistinnen erreichen. Eigentlich sollen sie an diesem Freitag schon längst zuhause sein. Doch da Perić-Jasar angeboten hat, spontan eine Stunde „Lernhilfe" dranzuhängen, sitzen sie noch immer in der Schule. „Ich würde auch noch gern bleiben", entschuldigt sich eine traurige Drittklasslerin - aber ihre Mutter sei leider schon da.

Dreizehn Kinder sitzen dicht gedrängt im kleinen Lernraum und schreiben ihre Bücher voll. „Laut, laut, laut, laut" kritzelt Dragan stumm in sein Buch. Er macht keinen einzigen Fehler. Ihm gegenüber sitzt Igor und beginnt gerade, an seinem Arbeitsblatt zu verzweifeln. Physikalische Messgeräte sind da aufgezeichnet, er muss die richtige Bezeichnung finden. Was dieses Ding namens Barometer sein soll, wüssten wohl auch viele Kinder mit deutscher Muttersprache nicht. Die sind an dieser Schule aber ohnehin eine kleine Minderheit.

Verschwiegene Herkunft

Kinder aus Roma-Familien sind dagegen überdurchschnittlich vertreten. Lange Zeit ahnte man das nur, niemand wusste es genau. Weder ihr Aussehen noch ihr Familienname verrieten es. Und schon gar nicht sie selbst: Sich als „Zigeuner" zu outen, ist Tabu. Ein kurzer Blick in die Zeitungsarchive reicht, um zu verstehen, warum: Positivmeldungen über Roma, das gibt es fast nicht.

Umso höher schlugen die Wellen, als Perić-Jasar an die Schule kam. Die Mazedonierin war Österreichs erste Muttersprachen-Lehrerin für Romanes. Als sie plötzlich anfing, im Unterricht ein paar Sätze in der Roma-Sprache zu reden, schien sich das Licht in den Augen einiger Kinder anzuknipsen: „So kann ich ja auch sprechen!", staunten sie. Und als die Lehrerin ihre mitgebrache Boban Markovic -CD auflegte, brauchte es nicht mehr viel, und die Kinder tanzten durchs Klassenzimmer.

Tanzstunde

"Wann gehen wir Tanzen?", fragt Dragan auch heute wieder. Als es endlich so weit ist, rennen die Kinder aus dem Klassenzimmer ins Nebenzimmer, als gäbe es dort Gratis-Eis. Dabei ist der Raum leer - bis auf zwei Tische und einen Ghettoblaster. In ihm platziert Perić-Jasar jetzt die passende Balkan-Compilation, auf Knopfdruck bewegen sich CD und Kinderbeine.

Wer den Kinder zuschaut, sieht sich im Bollywood-Film: Mädchen, die ihre Finger kreisen lassen, als hätten sie zehn Mal so lange Fingernägel. Buben, die ihre Hände heben und mit den Hüften schwingen, als trugen sie lange Jackets. Valentino, Sohn eines Schlagzeugspielers, schnappt sich zwei Bongos und beginnt, exakt im Takt zu trommeln. Dann fällt er auf die Knie und klatscht den Tänzern zu. „Ein richtiger Rom!", schwärmt die Lehrerin.

"Von Rom zu Rom"

Immer wieder bimmelt Perić-Jasar Handy: „Hallo?", ruft die energische Frau etwas zu laut. Kurze Pause, dann ein Satz in jener Sprache, die gerade angesagt ist: Serbisch, Mazedonisch, Romanes, Deutsch, sogar ein bisschen Türkisch - die Lehrerin ist flexibel. Ihr Engagement beschränkt sich nicht auf die 22 Wochenstunden, die sie bezahlt bekommt: Abends, wenn die Eltern zuhause sind, macht sie „Hausbesuche", um zu erzählen, was es in der Schule Neues gibt. "Von Rom zu Rom" rede es sich eben leichter, lacht Perić-Jasar. Die Eltern wissen es zu schätzen. „Tag und Nacht rufen sie mich an."

"Nicht gegen die Eltern erziehen"

Sie sei eben eine Art Botschafterin der Roma-Familien. In ihrer Freizeit nimmt sie die SchülerInnen und ihre Familien zu Veranstaltungen des Vereins Romano Centro mit. Es gehe darum, den Kontakt zwischen Eltern und Schule möglichst eng zu halten, erklärt der zuständige Bezirksschulinspektor Manfred Pinterits. Denn eines sei klar: „Wir wollen und können nicht gegen die Eltern erziehen." Nur so sei es möglich, dass die Kinder einmal in andere Positionen kommen als in jene, die den Roma seit Generationen vorbehalten sind.

Kontoauszug statt Mathe-Aufgabe

Denn Erfolg ist bekanntlich relativ. Bei den Roma-Kindern geht es nicht vorrangig darum, die NobelpreisträgerInnen der Zukunft auszubilden. Man gibt sich bescheiden: „Immer weniger Kinder gehen nachher in die Sonderschule", freut sich Perić-Jasar.

Das ist nicht selbstverständlich. „Bildungsferne" ist das Etikett, das diesen Familien angeheftet wird. Dabei sind es ganz konkrete Lebensumstände, die sich hinter diesem abstrakten Vokabel verbergen: Kleine, überfüllte Wohnungen, die das Hausübung-Schreiben zum nervlichen Balanceakt machen. Eltern, die nach einem Tag körperlich harter Arbeit damit beschäftigt sind, eher das Geld und die Tage bis zum Monatsende zu zählen, als die roten und blauen Kugeln in der Mathe-Aufgabe der Tochter. Ältere Geschwister, die nach der Pflichtschule gar keine Wahl hatten, nicht ans Geldverdienen zu denken. Und auch rundherum wenige Roma-Bekannte, die mit ihrer Karriere vorleben könnten, dass sich Schulbildung auszahlt.

Und später ins Gymnasium

Dass es den Johnstraßen-Kindern einmal anders geht, hat sich Perić-Jasar zum persönlichen Ziel gesetzt. Während rundherum gerne betont wird, dass die Kinder Defizite bei der deutschen Sprache haben, trichtert sie den SchülerInnen ein, stolz auf ihre Mehrsprachigkeit zu sein. Denn jene Roma-Kinder, die später ins Gymnasium wechseln, sind Pioniere - Selbstvertrauen können sie gut gebrauchen.

Karamfila sitzt wieder über ihrem Schulbuch. Wie viele Sprachen sie spreche, wollen wir von ihr wissen. „Zwei", sagt Karamfila. „Ganz sicher?", fragt die Lehrerin nach. Das Mädchen zögert. „Na gut, drei", sagt sie: „Deutsch und Bulgarski. Und Zigeunerisch." (Maria Sterkl, derStandard.at, 19.4.2009)