Einen regelrechten Boom hat  Twitter in den letzten Wochen und Monaten durchgemacht. Bereits 2006 ins binäre Leben gerufen, scheint das Microblogging nun endgültig im Mainstream angekommen sind, kaum eine Nachrichtensendung zu einem Großereignis, die ohne den Hinweis auf die Online-Plattform auskommt. Als aktuelles Beispiel bieten sich dabei die Proteste gegen den G20-Gipfel an, bei dem auch klassische Medien vermehrt den Nachrichten-Stream der Community als wertvolle Quelle entdeckten. Aber auch in der Organisation von Protesten selbst spielt Twitter eine zunehmend bedeutendere Rolle, so wurden etwa die Anti-Regierungs-Demonstrationen in Moldau unter anderem über Twitter koordiniert.

Konzept

Dabei entspringt Twitter eigentlich einem sehr simplen Gedanken, wer mit dem Begriff "Microblogging" nichts anfangen kann, kann sich das etwa wie eine Art öffentliches SMS vorstellen. Begrenzt auf 140 Zeichen können so laufende neue Nachrichten von größerer oder auch kleinerer Relevanz publiziert werden. Einzusehen ist das Ganze zunächst mal auf der Twitter-Webpage selbst, seine volle Wirkung entfaltet der Service freilich erst im Zusammenspiel mit der restlichen Community: Über einen simplen Klick lässt sich den Updates andere UserInnen "folgen", so kann unkompliziert ein individueller Info-Stream zusammengestellt werden. Über die Reply-Funktion lassen sich Diskussionen entspinnen, per Retweet die Infos anderer NutzerInnen den eigenen "Followers" weiterreichen und so zu deren Verbreitung beitragen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

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Was für viele auf den ersten Blick wohl wie ein Fall simpler Fall von fortgeschrittenem Narzissmus klingen man, entfaltet in der Masse seinen ganz eigenen Nutzen. Durch die Unmittelbarkeit der Veröffentlichung ist Twitter ein ungeheuer flottes Medium, neue Nachrichten verbreiten sich in Windeseile im "Twitterverse". Anschaulich wurde dieser Effekt Anfang des Jahres als ein Bild von der Notwasserung des US-Airways-Flug 1549 im Hudson River bereits ausgiebig über Twitter analysiert wurde, bevor es traditionelle Medien überhaupt vor Ort schafften.

Wer suchet...

Neben dem persönlichen Austausch mit den eigenen FreundInnen macht also wohl vor allem diese Art der "Live-Suche" durch den Informationspool der gesamten Community einen bedeutenden Teil des Reizes des Microblogging-Services aus. Eine Einschätzung, die so manche Branchengröße der IT-Welt teilt, ist Twitter doch selbst in Krisenzeiten ein immer wieder heftig umworbenes Übernahmeziel. Das Google sich zu den kolportierten Interessenten - ob an einem vollständigen Kauf oder "nur" einer Partnerschaft sei dahingestellt - zählt, erscheint angesichts der Unmittelbarkeit der Suchfunktion geradezu unausweichlich.

Foto: Archiv

Ein entscheidender Grund für den Erfolg von Twitter ist aber wohl auch die Begrenzung der Form, 140 Zeichen lassen sich nicht nur relativ flott sondern vor allem auch praktisch überall eintippen. Entsprechend umfangreich ist das Angebot der Twitter-Clients, die das Abrufen und Verfassen neuer Nachrichten möglichst komfortabel gestalten wollen. Ob Web, Desktop oder Mobiltelefon, die Auswahl ist eine mannigfaltige.

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Der derzeit meist benutzte Desktop-Client nennt sich TweetDeck: Die Adobe Air-basierte Software hat das Konzept der mehrspaltigen Darstellung eingeführt, und so den ehemaligen Spitzenreiter Thwirl längst vom Thron gestoßen. Neben Updates der eigenen Quellen lassen sich hier auch Spalten mit Suchanfragen oder Gruppenupdates definieren, eine Kombination die eine veritable Nachrichtenzentrale am Bildschirm entstehen lässt.

Aktuell

All dies wird laufend aktualisiert, die Update-Intervalle sind frei definierbar, von Haus aus mit 60 Sekunden - passend zur Unmittelbarkeit des Services - aber recht kurz eingestellt. In der Twitscoop-Spalte wird eine Tagcloud der gerade meistbenutzten Begriffe im Twitterverse dargestellt, auf Twitpic - mehr dazu später - verlinkte Bilder lassen sich seit kurzem direkt im Programm anzeigen. Twitter-typisch ist die beinahe durchgehende Nutzung von Kurz-URL-Services, immerhin passt so manche Webseitenadresse nicht mal in die vollständigen 140 Zeichen. Darauf hat man hier natürlich auch nicht vergessen, und bietet eine Umwandlung direkt im Interface des Programms an.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Was bislang verschwiegen wurde: Neben Twitter gibt es natürlich noch eine Fülle von anderen Microblogging-Services, so mancher Client bemüht sich möglichst viele davon zu unterstützten - Tweetdeck gehört allerdings definitiv nicht in diese Kategorie. Immerhin ist es seit kurzem möglich auch den Facebook-Status zu aktualisieren, wer will darf auch Video-Clips auf 12seconds hochladen.

Seesmic

Ein neuer und doch irgendwie auch alter Herausforderer ist der Seesmic Desktop, handelt es sich dabei doch um den Nachfolger von Thwirl. Das Multi-Spalten-Konzept hat man von Tweetdeck übernommen, wobei sich hier allerdings die Umorganisation einfach per Drag & Drop vornehmen lässt. Beim Interface hat man unübersehbar Anleihen im Mac-OS-X-Umfeld genommen, über die Webcam lassen sich Bilder und Videos aufnehmen.

Accounts

Neben der Suche lassen sich hier noch individuelle Listen von Twitter-UserInnen anlegen, deren Updates dann in einer gemeinsamen Spalte angezeigt werden. Eine Spezialität von Seesmic Desktop ist außerdem die Nutzung mehrere Twitter-Accounts, zwischen denen sich einfach wechseln lässt. Auch wenn die Software derzeit noch etwas buggy ist, zeigt sie doch bereits Potential als ernstzunehmender Tweetdeck-Herausforderer. Sie ist - wie überhaupt ein bedeutender Teil der Twitter-Desktop-Tools - ebenfalls in Adobe Air entwickelt, läuft somit sowohl unter Windows und Mac OS X als auch unter Linux.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Eine kleine Auswahl an anderen Clients im Schnelldurchlauf: AlterThingy zeichnet sich vor allem durch seine umfassende Unterstützung alternativer Microblogging-Angebote aus, bei Nambu hat man sich auf ein natives Mac-Interface spezialisiert, ganz auf Linux/GTK+ ausgerichtet ist Gwibber. Den zuvor schon erwähnten Thwirl - mit seiner vorbildlichen Friendfeed-Unterstützung - gibt es natürlich auch noch immer, auch wenn hier keine substantiellen Neuentwicklungen mehr erfolgen sollen. Von der Vielzahl an entsprechenden Programmen für iPhone, Android, Blackberry und Co. mal ganz abgesehen.

Pssssssssssst....

Ein kleines Geheimnis der Twitter-Welt ist, dass es zur Stillung des eigenen Informationsbedürfnisses eigentlich gar keines eigenen Accounts bedarf. Schließlich ist die Suchfunktion offen zugänglich, auch einzelne Feeds können per RSS-Feeds problemlos - und unbemerkt - nachvollzogen werden. Ein Umstand, den sich Sideline zunutze macht.

Monitoring

Eigentlich als Demonstration für die Fähigkeiten der Yahoo! User Interface Library entstanden, versteht sich die Software als eine Art "Monitoring Tool" für Twitter. Mehrere Suchbegriffe lassen sich hier leicht zu einem gemeinsamen Nachrichten-Stream kombinieren, nützlich um etwa alle Berichte zu einem gewissen Event in einer Ansicht zu sammeln - oder auch für Firmen um das Feedback zu den eigenen Angeboten zu bündeln. Die Präsentation der aktuellen Trend-Themen darf hier natürlich ebenso wenig fehlen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Rund um Twitter ist gerade in den letzten Monaten ein umfangreiches Ökosystem an Webservices entstanden, die dem Microblogging-Angebot neue Funktionalitäten an die Seite stellen wollen.  Das wohl prominentestes Beispiel dafür ist Twitpic: Der Bilder-Upload-Service glänzt vor allem durch seine direkte Integration mit der Twitter-Community.

Übernahme

Zur Benutzung bedarf es entsprechend gar keines eigenen Accounts, dieser wird bei der ersten Anmeldung einfach von Twitter übernommen. Für viele BenutzerInnen geht dies weitgehend unbemerkt, wird doch Twitpic bereits von Haus aus von den meisten Clients unterstützt. In der praktischen Nutzung sieht dies dann etwa so aus, dass ein Foto mit dem Mobiltelefon aufgenommen wird, über den Twitter-Client auf Twitpic geladen wird und gleich auch ein "Tweet" mit dem entsprechenden Link abgeschickt wird.

Zentrale

Die Reaktionen darauf lassen sich dann gesammelt auf der Twitpic-Webpage nachvollziehen, dort können auch die Bilder einzelner BenutzerInnen gesammelt betrachtet werden. Nicht verschwiegen sei auch, dass es eine ganze Reihe weiterer solcher Bilderservices gibt, Twitpic ist derzeit aber das am meisten verbreitete.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Übrigens: Die aktuell wohl relevanteste Herausforderung für Twitpic - wie auch für Twitter selbst - liegt nicht im Hinzufügen neuer Features, sondern in der Skalierung der eigenen Server. Die Zahl der BenutzerInnen steigt derzeit so rasch an, dass es schon einmal zu Ausfällen kommen kann, ein Plus von - im Jahresvergleich - mehr als 1.200 Prozent bei den Twitter-UserInnen-Zahlen ist eben nicht so ohne weiteres zu bewältigen. Twitpic hatte zuletzt mit so einem Ausfall rund um die Proteste anlässlich des G20-Treffen in London zu kämpfen, die Fülle an Bildern und Kommentaren zu diesem Ereignis war schlicht zu viel für die eigenen Server.

Liste

Ein gewisser Schwachpunkt von Twitter ist derzeit das Aufspüren von anderen NutzerInnen, gerade für Neulinge ist es oft recht schwer, die wirklich interessanten Quellen aus der großen Masse der Accounts herauszufinden. Eine Abhilfe in diese Richtung will "WeFollow" bieten. Das von Digg-Gründer Kevin Rose geschaffene Service erlaubt es allen Twitter-UserInnen die eigene Online-Präsenz mit drei Stichwörtern zu beschreiben.

Sortiert

Anhand dieser funktioniert dann auch die Sortierung auf der Webpage, einfach einen Tag auswählen / eingeben und schon erscheint eine Liste der am meisten gelesenen Twitter-BenutzerInnen in diesem Bereich. Ein paar "Bestenlisten" gibt man bereits auf der Startseite vor, so erfährt man dann etwa, dass Ashton Kutcher mit mehr als 770.000 "Followers" der meist abonnierte Schauspieler ist. Noch dazu einer, der wirklich selbst seine Updates verfasst, was mittlerweile längst nicht mehr bei allen Celebrities der Fall ist.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Als reine Informationsquelle lässt sich Twitter nicht nur ohne einen eigenen Account sondern auch ohne spezielle Software nutzen. Ein gutes Beispiel dafür ist Monitter: Auf dem Web-Service können die aktuellen Twitter-Nachrichten nach Stichwörtern durchforstet werden.

Alles im Fluss...

Besonders nett dabei, dass durch die stete Aktualisierung tatsächlich der Eindruck eines Nachrichtenflusses in Echtzeit entsteht, frische Updates werden die gesamte Zeit von oben in die jeweilige Spalte nachgeschoben. Wer will kann sich ausschließlich Tweets in einer gewissen Sprachen oder aus einem gewissen örtlichen Umkreis - also etwa alle Nachrichten aus Wien - anzeigen lassen. Die solcherart erstellten Nachrichtensammlungen lassen sich anschließend konsequenterweise wieder als RSS-Feeds abonnieren.

Ich falle...

Ein ähnliches Service bietet Twitterfall, wobei man bei diesem noch etwas mehr Einfluss auf die grafische Repräsentation des Auftauchens neuer Nachrichten hat. So werden hier frische Tweets zunächst einmal gecachet, damit sie dann auch wirklich einen gleichmässigen "Fluss" an Updates ergeben, Geschwindigkeit und Animationsform lassen sich ebenso frei definieren. Nett auch, dass der Suchbegriff einfach an die Twitterfall-URL angehängt werden kann, entsprechende Anfragen also einfach per Link mit anderen geteilt werden können.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Während all die bislang genannten Services bei ihrer Suche rein nach Aktualität sortieren, versuchen sich andere Angebote daran neue Wege der Ordnung in diesen Datenwust zu bringen. Tweefind probiert dies etwa mit eine Reihe von Ranking-Kriterien, dazu gehört die Anzahl der Followers ebenso wie die Retweet-Häufigkeit und die Antwort-Frequenz.

Kollektives Wissen

Quasi den umgekehrten Weg geht Oneriot: Das Ganze versteht sich als "normale" Web-Suchmaschine, für das Ranking der Ergebnisse bedient man sich allerdings des kollektiven Wissens der Twitter-Community. Je öfters eine Seite in einem Tweet verlinkt wurde, desto weiter oben landet sie dann auch in der Ergebnisliste von Oneriot.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Will man hingegen einfach nur wissen, was auf Twitter gerade so die "Hot Topics" sind, reicht ein Blick auf Tweetmeme. Dort werden jene Links zusammengefasst, die aktuell am häufigsten in Tweets vorgekommen sind, optional danach sortiert, ob der Verweis auf Artikel, Bilder, Videos oder Audio-Aufnahmen erfolgt. 

Nachrichten

Dass das Interface dabei etwas an Digg erinnert, kommt wohl nicht ganz von ungefähr, hilft doch auch hier die Community bei der Priorisierung aktueller Nachrichten. Nur eben dass bei Tweetmeme alles automatisch geht, das manuelle Posten einzelner Geschichten entfällt. Ein ähnliches Service ist Twitt(url)y.

Analyse

Eine eigene Gruppe der rund um Twitter entstandenen Online-Anwendungen bilden Analyse-Tools. Durch die Offenheit der APIs des Microblogging-Services bieten sich viele Möglichkeiten um aktuelle Trends abzubilden. Ein Beispiel dafür ist das zuvor schon kurz erwähnte Twitscoop, dass die gerade meist diskutierten Begriffe in Form einer Tag-Cloud anzeigt.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Wer will kann eine solche Tag-Cloud dann auch direkt in die eigene Webpage einbetten. Zusätzlich lassen sich die Schwankungen bei der Popularität einzelner Begriffe anhand einer Zeitlinie übersichtlich darstellen. Ähnliches bieten die Twitter StreamGraphs: Dabei werden zu einem gewählten Stichwort verwandte Begriffe - bzw. deren Auftauchen in Tweets - dargestellt.

F*ck

Und wenn gar nichts mehr geht, dann hilft vielleicht Cursebird: Die Webseite zeigt die weniger freundliche Seite der Twitter-Community, es werden lediglich jene Tweets ausgefiltert, die mit gewissen Schimpfwörtern versehen sind. Natürlich darf da die Statistik über die Nutzung der einzelnen Begriffe nicht fehlen.

Mitmachen

Die getroffene Auswahl kann natürlich immer nur einen subjektiven Ausschnitt aus dem Twitter-Universum repräsentieren, insofern: Posten Sie Ihre eigenen Twitter-Tipps im Kommentarbereich!

(Andreas Proschofsky, derStandard.at, 13.04.2009)

Screenshot: Andreas Proschofsky